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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Francescas Gedanken überschlugen sich, hektisch versuchte sie, eine Lösung zu finden. Schon spürte sie, wie die seltsame Kälte immer weiter von ihr Besitz ergriff und sich dunkle Schattenin ihr Bewusstsein schlichen. Da bemerkte sie, dass die Nebelschlange einen deutlichen Abstand zu dem Silberring an ihrem Finger einhielt. Vielleicht konnte sie die silbernen Armreifen so weit vorschieben, bis sie damit die Nebelschlange berühren konnte? Einen Versuch war es wert! Doch in dem Moment, als sich ihre linke Hand innerhalb des Salzkreises befand, teilte sich auch der schwarze Nebel und eine zweite Säule begann, nach der neuen Wärmequelle umherzutasten. Sofort zog Francesca ihre noch freie Hand zurück. Nun wünschte sie sich, sie wäre nicht so dumm gewesen, die Tür zum Ballsaal zu verschließen. Gianna hätte ihr nur die silberne Schöpfkelle aus dem Koffer reichen müssen und schon wäre sie die Nebelschlange losgeworden. Niemals hätte Francesca damit gerechnet, dass sie noch vor der eigentlichen Beschwörung in solch eine Lage kommen würde … Wäre sie nur nicht so unvorsichtig gewesen!
    Angst und Panik brachen wie eine Flutwelle über sie herein und verschleierten ihren Blick. Oder war dies etwa schon die Macht des Necronomicons, die Stück für Stück ihren Körper und ihr Denken eroberte? Füllten sich vielleicht ihre Augen wie bei Fiorella gerade mit dem schwarzen Nebel? Francesca keuchte auf und Schweißtropfen perlten auf ihrer Stirn.
    Plötzlich spürte sie, wie etwas in ihr Bewusstsein eindrang. Zuerst glaubte sie, nur eine Art Summen in ihrem Kopf zu hören, dann wurde es jedoch immer lauter und spaltete sich in eine Vielzahl bösartig zischender Stimmen auf.
    »Was willst du?«, fragten sie im Chor.
    »Nichts. Ich will nichts«, stammelte Francesca, starr vor Schreck.
    »Jeder Mensch will etwas. Immer sehnt ihr euch nach etwas, das ihr nicht bekommen könnt. Das liegt in eurer Natur. Ihr seid nicht dazu fähig, glücklich zu sein. Wonach sehnst du dich, Mensch?«
    » Nach nichts«, beteuerte Francesca wimmernd. »Ich sehne mich nach nichts.«
    »Das glauben wir nicht. Was ist dein größter Wunsch? Bist du arm und sehnst dich nach Reichtum? Wir können dir dazu verhelfen, alles zu besitzen, was du dir je erträumt hast. Bist du schwach und sehnst dich nach Stärke und Macht? Durch unsere Hilfe werden alle zu dir aufsehen. Ist dein Herz gebrochen und willst du eine verlorene Liebe zurückgewinnen? Möchtest du ewiges Leben? Alles ist für uns möglich, es gibt keine Grenzen.«
    » Ich will nichts von alldem.« Francesca schüttelte vehement den Kopf. »Lasst mich in Frieden! Ich bin glücklich.«
    Verwundert stellte sie fest, dass dies sogar der Wahrheit entsprach. Francesca war sich dessen nie wirklich bewusst gewesen. Sicher, manchmal wünschte sie sich, dass ihrer Mutter ihre Arbeit nicht so wichtig wäre und sie mehr Zeit zusammen verbrächten oder dass ihr in der Schule die Matheaufgaben leichter fallen würden. Oder dass sie sich, wie in den vergangenen Tagen, nicht so sehr zwischen Venedig und ihrer Heimat in Deutschland hin- und hergerissen fühlte. Doch dies waren alles Dinge, die ihre Seele nicht wirklich quälten. Im Grunde, so erkannte sie plötzlich, hatte es sogar Vorteile, dass es auf dieser Welt zwei Orte gab,an denen sie sich zu Hause fühlte. Francesca hatte ihre Freunde in Deutschland, ihre Familie in Venedig und tief in ihrem Herzen fühlte sie sich von ihrer Mutter bedingungslos geliebt. Sosehr sie auch in sich hineinhörte, nichts von alldem, was die Stimmen ihr versprachen, brachte sie wirklich in Versuchung. Sogar ihr tizianrotes Haar, auf das sie so ungern angesprochen wurde, wollte sie nicht anders haben. Ihre auffällige Haarfarbe war ein Teil von ihr und machte sie auf gewisse Weise einzigartig.
    »Ich will nichts von alldem, was ihr mir anbietet«, wiederholte sie. »Mein Leben ist gut, so, wie es ist.«
    Die Stimmen schwiegen. Für einen Moment keimte in Francesca die verzweifelte Hoffnung auf, dass sie alles überstanden hätte.
    »Bist du ein … Kind?«, zischte schließlich eine einzelne, vor Bosheit verzerrte Stimme. Die Abscheu, mit der sie diese Frage ausstieß, war nicht zu überhören.
    Eine einzelne Träne rann Francesca über die Wange. »Ja.«
    »Nur ein Kind kann ein Herz ohne quälende Sehnsucht haben und wahres Glück empfinden. Nur ein Kind besitzt die Fähigkeit, dem Leben selbst im größten Leid mit einem Lächeln zu begegnen. Doch es hat eine

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