Die Schatzhöhle
drängte Michel darauf, daß man die Nacht hindurch weiterritt. Der Pfeifer forcierte das Tempo. Jedesmal, wenn irgendeiner der Leute Einwände erhob, wischte er sie mit unwilliger Geste weg.
Erst gegen Morgen, als Abd el Ata sein Pferd neben das seine lenkte, verlieh er seiner Meinung
Ausdruck. Das, was er sagte, elektrisierte die anderen. Es waren nur vier Worte.
»Sie sind vor uns.«
»Vor uns?« fragte Abd el Ata erstaunt.
»Du hörtest es doch soeben.«
Abd el Ata war nicht gewohnt, daß man ihm in dieser Weise über den Mund fuhr. Er mochte ein wenig beleidigt sein; denn seine Stimme hatte eine sehr dunkle Färbung. Dennoch klang seine Frage sachlich. Er verstand es, die Regung des Unwillens zurückzudrängen.
»Glaubst du, daß wir sie noch auf der Lavastraße einholen können?« Michel schüttelte den Kopf.
»Sie haben mindestens zwei Tage Vorsprung. Ich denke, daß die Straße bald enden wird.«
72
Nach dieser Nacht, die schwer von Regen und trostloser Finsternis war, brach der Tag mit einem hellen Sonnenstrahl an. Die Wolkenmassive zerteilten sich. Strahlend blauer Himmel lag über der Gegend. Gegen Mittag wurde es so unerträglich heiß, daß sie gezwungen waren, eine Pause einzulegen. Wo die Reiter von den Pferden stiegen, sanken sie auf der Stelle um und schliefen ein. Tscham lag wieder im Fieber. Auch Ojo stöhnte.
»Eigentlich sind wir doch verrückt, Señor Doktor«, sagte er. »Wir treiben uns im finstersten Afrika herum, ohne daß wir eigentlich etwas hier zu suchen hätten. Vielleicht hätten wir besser getan, auf dem Schiff dieses deutschen Kapitäns Passage zu nehmen und nach Europa zu segeln. — Europa ! Oh, ich habe diesen ganzen Orient satt, satt bis hierher!« Er vollführte eine Bewegung zum Hals.
»Wir leben nicht nur für uns«, sagte Michel. »Wir haben Aufgaben. Und ich glaube, es wird uns noch Schweres bevorstehen.«
»Durch unsere eigene Schuld«, sagte Ojo. »Wir hätten das vermeiden können, hätten uns noch ein paar Tage im Hotel geaalt und wären dann nach Hause gefahren!« Michel zog die Brauen hoch.
»Du sagtest soeben: durch unsere eigene Schuld. Das ist richtig. Allerdings nicht unter deinem Gesichtspunkt. Wir, wir drei, du, Tscham und ich, wir sind der eigentlidie Grund, daß die Sklavenhändler vor uns ihren Zug unternommen haben.«
»Ihr werdet mir nicht böse sein, Señor Doktor, wenn ich das nicht verstehe«, erwiderte Ojo. »Du wirst es gleich verstehen. Es hat sich herumgesprochen in Sansibar, daß wir nicht als arme Leute aus Afrika zurückgekehrt sind. Dieses Gerücht ist auch bis zu den Sklavenjägern, bis zu Imi Bej gedrungen. Die Burschen werden klug genug sein, sich zu sagen, daß dort, wo andere reich geworden sind, auch noch etwas für sie abfallen könnte. Und unter diesem Gesichtspunkt hat Imi Bej seinen Zug unternommen. Das ist mir gestern auf dem Gewaltritt klargeworden. Die Sklavenjagd gilt ihnen diesmal nur als Vorwand. Vielleicht nehmen sie auch noch ein paar von den Wadschagga mit, um zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Gelockt allein jedoch hat sie die Gier nach anderen Kostbarkeiten. Es ist nun einmal so, daß wir praktisch Wegweiser waren. Und es ist auch nicht von ungefähr, daß Imi Bej Ugawambi als Führer angeworben hat. Ugawambi wird sie führen, und zwar an die richtige Stelle, nämlich ins Land der Wadschagga, in die friedliche Stadt des Königs Aradman.«
»Diablo!« fluchte der lange starke Spanier. »Können wir nicht endlich einmal aufhören, uns um
das Wohlergehen anderer zu kümmern?«
Michels Stimme wurde hart.
»Nein, das können wir nicht. Das heißt, du kannst es, und Tscham kann es. Ihr hättet in Sansibar bleiben können. Ich hätte euch nichts in den Weg gelegt.«
Die Bitterkeit des Pfeifers drang wie ein spitzer Speer in die tiefsten Tiefen von Ojos Seele. Ein Kloß saß ihm in der Kehle. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte geweint. Alles konnte der starke Mann ertragen, nur keine Vorwürfe von seiten des Señor Doktor. Er raffte sich auf und blickte Michel starr ins Gesicht.
»Ihr wißt, daß mein Platz an Eurer Seite ist! Und wenn der Weg direkt in die Hölle führt!«
Michel tat es leid, daß er mit solcher Schärfe gesprochen hatte. Ojo hatte seine Treue wahrhaftig oft genug bewiesen. Und schließlich war ja Michel derjenige, nach dem sich Ojo immer gerichtet hatte.
Der Pfeifer mußte sich eingestehen, daß er in der letzten Zeit versagt hatte, nicht in seinen Taten; denn diese waren glänzend nach
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