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Die Schatzinsel (Original)

Die Schatzinsel (Original)

Titel: Die Schatzinsel (Original) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Anblick seiner schlaff herunterhängenden Kinnlade taten mir herzlich leid. Als ich mich aber erinnerte, wie gemein und blutdürstig er gesprochen hatte, als ich in der Apfeltonne saß, da verschwand alles Mitleid aus meinem Herzen.
    Ich ging nach dem Achterdeck, und als ich den Hauptmast erreicht hatte, sagte ich ironisch:
    »Melde mich an Bord, Herr Hands.«
    Er machte erstaunte Augen, aber er war viel zu schwach, um seine Verwunderung auszusprechen. Mit Mühe brachte er nur ein einziges Wort hervor!
    »Branntwein!«
    Mir dünkte, es sei keine Zeit mehr zu verlieren; ich schlüpfte unter dem Giekbaum durch, als er sich wiederüber das Deck bewegte, lief nach achtern und über die Kajütstreppe in die Kajüte hinunter.
    In dieser herrschte eine Unordnung, wie man sich kaum vorstellen kann. Die Meuterer hatten alle verschlossenen Behälter erbrochen, um nach der Karte zu suchen. Der Fußboden war hoch mit Schlamm bedeckt, den die Kerle an ihren Stiefeln von der sumpfigen Erde vom Lagerfeuer mitgebracht hatten. Die Vertäfelung der Kajüte, die sauber in Weiß gemalt gewesen war mit goldenen Randleisten, trug die Abdrücke schmutziger Finger. Dutzende von leeren Flaschen lagen in den Ecken und klirrten gegeneinander an, wenn das Schiff rollte. Auf dem Tisch lag eins von den medizinischen Büchern des Doktors aufgeschlagen; die Hälfte der Blätter waren herausgerissen; wahrscheinlich hatten sie als Fidibusse für die Pfeifen gedient. Diese ganze Anordnung wurde von der qualmenden Lampe beleuchtet.
    Ich ging in den Keller hinunter; die Fässer waren verschwunden, und von den Flaschen war eine überraschend große Anzahl leer getrunken und weggeworfen worden. Seit dem Beginn der Meuterei konnte kein einziger von den Piraten kaum einen Augenblick nüchtern gewesen sein.
    Nach einigen Minuten fand ich eine Flasche, in der noch etwas Branntwein war; diese bestimmte ich für Hands; für mich selber trieb ich einige Zwiebacke, eingemachte Früchte, eine große Traube Rosinen und ein Stück Käse auf. Hiermit ging ich an Deck, legte meine eigenen Eßvorräte am Steuerruder nieder, wo der Schaluppmeister sie nicht erreichenkonnte, ging dann an die Wassertonne und trank mich so richtig satt; und erst dann gab ich Hands den Branntwein.
    Er muß eine Viertelpinte getrunken haben, bevor er die Flasche wieder absetzte. Dann sagte er:
    »Ha! Zum Donner – das hatte ich aber sehr nötig!«
    Ich hatte mich inzwischen in meine eigene Ecke hingesetzt und zu essen begonnen.
    »Schlimm verwundet?« fragte ich ihn.
    Er grunzte, ich möchte beinah sagen: er bellte und sagte:
    »Wenn der Doktor da an Bord wäre, hätte er mich im Handumdrehen wieder zurecht; aber ich habe nun mal gar kein Glück, siehst du, das ist nun mal so mit mir. Der Waschlappen da, der ist tot und erledigt,« fuhr er fort, indem er auf den Mann mit der roten Mütze zeigte, »war überhaupt kein Seemann! Und wo kommst du denn her?«
    »O, ich bin an Bord gekommen, um von dem Schiff Besitz zu ergreifen, Herr Hands; und Sie werden bis auf weiteres so gut sein, mich als Ihren Kapitän anzusehen.«
    Er zog ein recht schiefes Gesicht, sagte aber nichts. Seine Wangen waren wieder etwas rot geworden, doch sah er immer noch sehr krank aus und glitt auf dem Deck entlang, sooft das Schiff einen neuen Stoß bekam.
    »Übrigens, was ich sagen wollte,« fuhr ich fort, »ich kann diese Flagge hier nicht haben, Herr Hands, und will sie herunterholen, wenn Sie nichts dagegen haben; besser gar keine als diese.«
    Ich kroch wieder unter den Giekbaum durch, lief an die Flaggenleine, holte ihre verfluchte schwarze Flagge herunter und warf sie über Bord. Dann schwenkte ich meine Mütze im Wind:
    »Gott erhalte den König! Und somit ist es aus mit Käpp'n Silver!«
    Er sah mich von unten auf scharf an; sein Kinn lag immer noch auf der Brust.
    »Ich rechne,« sagte er nach einer Weile – »ich rechne, Käpp'n Hawkins, Sie werden jetzt wohl gerne an Land wollen. Was meinen Sie dazu, wenn wir mal darüber sprechen?«
    »Oh, gewiß, ja!« sagte ich, »von Herzen gern, Herr Hands. Schießen Sie los!«
    Und ich machte mich wieder über meine Mahlzeit her und aß mit gutem Appetit.
    »Dieser Mann da,« begann er mit einer schwachen Kopfbewegung nach der Leiche hinüber, »O'Brien war sein Name – ein richtiger frecher Irländer –, dieser Mann und ich brachten den Schoner unter Segel; dachten, wir wollen wieder zurückfahren. Na, der ist nun tot, das ist er – mausetot; und wer das Schiff

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