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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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lieben. Ich habe mich auch verändert. Trotzdem möchte ich behaupten, dass nicht der Druck unserer Familien eine Änderung erzwang, sondern dass schließlich die Bombe explodierte, die Emilio, Rosario und ich gebastelt hatten.
    Nie hätte ich mir vorgestellt, dass ich derart eifersüchtig sein könnte. Die Ablehnung, die ihr andere entgegenbrachten und die mich schmerzte, war es, die sie in eine Einsamkeit stürzte, in der ich ihre einzige Insel war. Inzwischen glaube ich, dass es die widrigen Umstände waren, die uns immer wieder zusammenbrachten. So empfinde ich es hier in diesem Krankenhaus, während sie da drin ist und nach einem letzten Wunder verlangt und es mir wie ein Privileg vorkommt, ihr einziger Beistand zu sein.
    »Die Kugeln sitzen überall«, erklärte mir einer der Ärzte vom Nachtdienst, als ich ihn bat, mir die Diagnose zu erläutern.
    »Und jetzt?«
    »Wir müssen abwarten«, sagte er. »Sie tun, was sie können.«
    Ich sah meine bange Vorahnung sich in den Augen eines Alten spiegeln, der auf dem Sofa gegenüber saß. Um diese Zeit waren nur noch wir beide anwesend, und obwohl der Mann die ganze Zeit döste, begegnete ich unmittelbar nach der ärztlichen Auskunft seinem wachen Blick.
    »Haben Sie Vertrauen, es wird alles gut«, sagte der Alte zu mir.
    Ich spürte, dass auch er auf Rosarios Auferstehung hoffte, dass er sie genauso liebte wie ich, dass er ein Verwandter sein könnte, vielleicht ihr unbekannter Vater. Ich war nicht in der Stimmung, ein Gespräch anzufangen, aber später erfuhr ich, dass einer seiner Söhne, der ungefähr so alt war wie Rosario, ebenfalls von Kugeln durchsiebt eingeliefert worden war und ihm wie mir nichts anderes übrig blieb als die Hoffnung, nicht zu verlieren, und zu warten.
    »Wie spät mag es sein?«, fragte ich ihn.
    Er blickte auf die Wanduhr über mir.
    »Halb fünf«, sagte er.
    Rosario spürte die Ablehnung von Emilios Mama vom ersten Moment an. Die Señora hatte sich keinerlei Mühe gegeben, sie zu verbergen, und Rosarios Nerven machten ihren guten Vorsätzen einen Strich durch die Rechnung. Ich glaube, es geschah, als Emilio die Idee hatte, sie zur Hochzeit einer seiner Cousinen einzuladen, damit seine Familie sie endlich kennen lernte.
    »Als sie mich sah, kräuselte sie die Nase, als würde ich schlecht riechen«, erzählte mir Rosario.
    Sie begrüßte Rosario mit einem »Wie gehts, mein Fräulein« und richtete kein weiteres Wort mehr an sie. Emilio erzählte mir später, dass sie ihm nach der Feier alles, was sie sich verkniffen hatte, entgegenschleuderte, ohne auch nur einmal Luft zu holen. Sie ließ kein gutes Haar an Rosario.
    »Altes Miststück!«, wiederholte Rosario pausenlos. »Sie hat ja den Mund nicht aufgemacht! Sonst hätte ich ihr die Zunge mit dem Fleischermesser rausgeschnitten.«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, wenn sie an diesen Abend dachte. Sie knirschte mit den Zähnen, wenn jemand die Señora erwähnte. Sie war außer sich und redete danach kein Wort mehr mit Emilio. Als sie in den Wagen stieg, heulte sie bereits vor Wut und erlaubte ihm nicht, sie nach Hause zu bringen. Auf halber Strecke stieg sie aus und schnappte sich ein Taxi. Kaum war sie angekommen, rief sie mich an.
    »Du hättest sie sehen sollen, Kumpel!« Sie konnte kaum sprechen. »Und ich hatte mir in dem Laden, wo die Alte einkauft, einen Fummel besorgt, für den sie mir ‘ne Stange Geld abgeknöpft haben. Auch die Haare hab ich mir dort machen lassen, wo die Alte hingeht, und sie haben mich wirklich hübsch zurechtgemacht. Wenn du mich gesehen hättest, Kumpel, ich sah aus wie ‘ne Prinzessin. Ich hatte mir vorgenommen, nur ganz wenig zu sagen, um es mit ihr nicht zu vermasseln. Ich hab vor dem Spiegel ein allerliebstes Lächeln geprobt und sogar die Amulette mit ein paar teuren Kettchen verdeckt. Also, du hättest mich nicht erkannt. Aber kaum war ich da, kommt dieses Miststück daher und glotzt mich an, als wär ich ein Stück Scheiße. Das hat mich fertig gemacht. Frisur, Lächeln und Schmuck hin oder her, ich fing an zu stottern wie eine Schwachsinnige, verschüttete den Wein, ließ das Essen aufs Tischtuch fallen, verschluckte mich am Reis und konnte den Rest des Abends gar nicht mehr aufhören zu husten, und alle stellten mir Fragen, aber nicht aus Nettigkeit, sondern weil sie mich fertig machen wollten. Was ich denn so mache, wer mein Papa und meine Mama sind, wo ich studiere und diesen ganzen Scheißdreck, als hätten sie außer mir kein anderes

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