Die Scherenfrau
log ich.
Sie kam, um eine Zigarette zu rauchen, denn Emilio mochte es nicht, wenn man in seinem Zimmer rauchte.
Ich verstand nicht, wie man Rosario etwas verbieten konnte, nachdem man mit ihr geschlafen hatte.
»Gelesen?«, fragte sie mich. »Und was liest du?«
Ich ließ sie in meinem Zimmer rauchen. Sie bat mich nie um Erlaubnis, aber ich erlaubte es ihr. Durch die halb offene Tür sah ich Emilio noch immer nackt auf dem Bett liegen, während er die letzten Wellen der Erregung auskostete. Sie setzte sich auf meins, nur mit ihrem Hemdchen bekleidet. Sie lehnte sich an die Wand, zog die Füße hoch, schlug sie übereinander und stieß, noch immer kleine Schweißperlen über den Lippen, langsam Rauchwolken aus. Sie stellte mir irgendeine belanglose Frage, die ich manchmal gar nicht beantwortete, weil ich wusste, dass sie nicht zuhörte. Sie redete nicht immer. Meistens rauchte sie schweigend ihre Zigarette und ging dann unter die Dusche. Und ich suchte jedes Mal, nachdem sie aus dem Zimmer war, die Stelle auf dem Laken, wo sie gesessen hatte, um dieses fantastische Geschenk zu finden, das sie mir immer hinterließ: einen feuchten Fleck, den ich mir an die Nase und an den Mund presste, um zu erfahren, wie Rosario von innen roch und schmeckte.
6
»Ist dir aufgefallen, dass fast alle Gedichte von Tod und Glück handeln?«, stellte Rosario fest.
Zu der Zeit las ich haufenweise Lyrik, und weil sie neugierig war, führte ich sie ein bisschen in meinen Lesestoff ein. Sie brachte alles mit dem Tod in Verbindung. Sogar meine Interpretation der Verse.
»Diese Sachen kommen bestimmt ziemlich gut, wenn man sie stoned liest«, sagte sie, und der Vorschlag gefiel uns.
Es gab eine Zeit, in der wir drei uns einen ganzen Sonntag lang einschlossen, um zu kiffen und Gedichte zu lesen. Wir stießen auf Sätze, die uns glauben ließen, wir hätten die Welt verstanden. Andere machten uns ratlos und stumm, wieder andere reizten uns zu endlosem Gelächter, und einige verursachten uns schrecklichen Hunger. Das waren die beschaulichen Zeiten, mit Musik und Lektüre und der einen oder anderen Droge, um die Gemütslage zu wechseln. Doch es gab auch andere Tage. Andere Sonntage und andere eingeschlossene Tage, von denen ich bis heute nicht weiß, wie wir da heil wieder rauskamen. Damals waren wir bereits nicht mehr wir drei, sondern schräge Vögel.
»Das sind Freunde von Rosario«, erklärte mir Emilio.
Man brauchte keinen Spiegel, um festzustellen, dass sie anders waren als wir, obwohl wir am Ende aussahen wie sie. Sie trugen die Haare kurz geschoren. Nur über dem Nacken wuchsen ihnen ein paar verschieden lange Zöpfe, ihre T-Shirts waren drei Nummern zu groß und reichten ihnen beinahe bis zu den Knien, die Jeans waren hauteng, botatubo, und an ihren Füßen sah man Turnschuhe mit Piateausohle und fluoreszierenden Reflektoren und Neonstreifen. Ich hatte sie immer nur von weitem gesehen, ohne Einzelheiten zu erkennen, aber als sie dann in Rosarios Apartment herumstanden, nahm ich sie erst einmal gründlich unter die Lupe und begann, ganz vorsichtig, sie nachzumachen. Erst waren es die Haare. Wir ließen sie ziemlich kurz schneiden, mit ein paar dezenten Zöpfen, dann wickelten wir uns billigen Klimbim um die Handgelenke, zogen alte Jeans an, und auf den Partys tauschten wir die T-Shirts. Auf diese Weise landeten die Klamotten von Fierrotibio, Charli, Pipicito, Mani und anderen in meinem Kleiderschrank. Johnefe schenkte mir in einem Anfall von Zuneigung eins seiner Amulette, das er um den Hals trug und weswegen er, wie Rosario meinte, erschossen worden war, denn an dieser Stelle hatte ihn die Kugel erwischt.
»Rosario redet ziemlich viel von dir, Spinner«, sagte Johnefe zu mir an diesem Abend. »Sagt, du wärst ‘n prima Kerl, Spinner.« Er knöpfte sein Hemd auf und presste das kleine Medaillon. »Die Leute, die Rosario mögen, sind für mich ‘ne Wucht, Spinner.« Ganz vorsichtig, als hinge es an einem Goldkettchen, nahm er das Amulett ab. »Nimm, du Prachtstück, leg sie um und pass auf sie auf. Dass meiner Rosario bloß nichts zustößt. Siehst aus wie jemand, der aufpassen kann, Spinner, nimm, die is vom Divino Boy, und pass ja schön auf beide auf.« Er nahm mein Gesicht mit beiden Händen, kniff mich in die Wangen und gab mir einen Kuss auf den Mund. »Rauchen wir noch einen, oder was?«
Nachdem sie ihn ermordet hatten, gab ich das Amulett Rosario. Ich dachte, sie würde mir die Schuld geben, aber sie verlor kein Wort
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