Die Scherenfrau
darüber. Sie küsste es, legte es um und bekreuzigte sich. Das geschah, als sie nach dem Begräbnis von der Bildfläche verschwunden und dick zurückgekommen war. Ich machte mir meinen Reim darauf und begriff gleich, dass das Übergewicht und ihre Nachsichtigkeit mir gegenüber daher rührten, dass sie ihren Rachedurst bereits gelöscht hatte.
»Hättest dus mir früher gegeben, hätten wir es mit ihm begraben«, hielt sie mir als Einziges entgegen.
Nur Ferney erschien nicht auf Rosarios Partys, wenn Emilio da war. Oder Emilio ging nicht hin, wenn Ferney da war. Wer von den beiden als Erster kam, der blieb. Der andere musste das Feld räumen.
»Sag diesem Arschloch, dass er bereits nach Formalin riecht«, ließ Ferney ihm ausrichten.
»Sag diesem Arschloch, dass er froh sein könnte, so zu riechen, wie ich rieche«, ließ Emilio ihm ausrichten.
Zu Beginn gab es Streit zwischen Ferneys Verteidigern und Rosarios Anhängern, denn Emilio hatte außer mir niemanden, der für ihn Partei ergriffen hätte, und ich wollte mich nicht mit ihnen anlegen. Solange Johnefe noch lebte, war er es, der die Gemüter besänftigte.
»Hier fängt keiner Streit an, ihr Spinner«, sagte er. »Das ist Sache der Kleinen.«
Und da sich die Kleine nie entschied, wenn die Partys veranstaltet wurden – falls man sie überhaupt so nennen konnte –, nahmen einmal Emilio und ein andermal Ferney daran teil, wenn auch seltener.
»Ich bin doch dein Freund«, begehrte Emilio auf.
»Ja«, antwortete sie. »Aber Ferney ist Ferney.«
Es kam oft vor, dass keiner von beiden bei ihr war. Es wurde ihnen nicht erlaubt. Es waren die zig Male, die sie mit den Oberharten unterwegs war. Die, von denen sie alles bekam, die die Kohle bereitstellten, weshalb sie sich den Luxus erlauben konnten, uneingeschränkt über Rosario zu verfügen. Sie verschwand, ohne uns Bescheid zu sagen. Wenn zwei Tage vergingen, ohne dass sie ein Lebenszeichen von sich gab, dann, weil sie mit ihnen zusammen war. Außerdem ließ Emilios Gesichtsausdruck Rückschlüsse auf Rosarios Eskapaden zu.
»Jetzt ist ein für alle Mal Schluss«, entschied er jedes Mal, wenn Rosario ihm wieder entglitt. »Wirklich Schluss.«
»Das sagst du jedes Mal …«
»Du wirst schon sehen«, unterbrach er mich. »Diesmal werde ich alles zum Teufel hauen.«
Nie hielt er Wort. Rosario kehrte jedes Mal wieder zu ihm zurück. Zahm wie ein Kätzchen und mit den Taschen voller Geld starb sie vor Sehnsucht nach ihrem kleinen Schatz. Zuerst rief sie mich an, um das Terrain zu sondieren.
»Er hat mir gesagt, es reicht«, erzählte ich Rosario.
»Schon wieder?«, sagte sie.
»Nein. Er sagte, diesmal reicht es wirklich.«
Aufgedonnert und schöner denn je tauchte Rosario mit einem Geschenk bei ihm auf, bereit, sich so lange mit ihm einzuschließen, bis sie ihn besänftigt hatte.
»Wozu noch Geschenke, Rosario«, dachte ich, wenn ich sie sah. »Das Geschenk bist du selbst.«
Sie erzählte mir, zu Emilio zurückzukehren sei so, wie wenn man mitten in der Hitze ein Glas kaltes Wasser trinken würde.
»Du kannst dir nicht vorstellen, von was für einem Sauhaufen ich gerade komme.«
Bei ihnen vermisste sie, was ihr an Emilio am besten gefiel. Sein Waschbrettbauch, sein knackiger Hintern, das Kitzeln seiner Bartstoppeln am Sonntag, seine großen und blitzsauberen Zähne. Alles Dinge, die sie ihr, egal wie viel Geld sie hatten, nicht bieten konnten.
»Aber es gibt ein paar andere Sachen, die Emilio mir nicht geben kann, Kumpel.«
Und ich? Ich hatte auch einen flachen Bauch, einen knackigen Hintern, große Zähne und ein reines Herz, um ihr meine ganze Liebe zu schenken.
»Niemand«, sagte sie, »niemand kann mir das geben, was sie mir geben.«
Das stimmte. Es war unmöglich, sie ihnen wegzunehmen. Wir fanden uns jedes Mal wieder damit ab, Emilio, Ferney und ich. Wir begnügten uns damit, dass sie zurückkam und nach eigenem Gutdünken ihre Zuneigung verteilte.
»Wer sind diese Leute, Rosario?«, fragte ich sie einmal.
»Du kennst sie. Sie sind jeden Tag in den Nachrichten.«
Kaum hatten sie Rosario gesehen, erging es ihnen wie allen anderen auch: Sie wollten sie für sich haben. Und weil der mit dem meisten Geld die Wahl hat, bekamen sie sie.
»Johnefe und Ferney konnten in La Oficina einen Job bekommen«, erzählte sie mir. »Das wünschen sich alle Jungs. Da wird aus jedem Weichei ein knallharter Typ. Zu der Zeit gabs ‘ne große Nachfrage, weil alles arg außer Kontrolle geraten war, und sie
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