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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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suchten nach den Köpfen der Banden, um sie auszuschalten.«
    »Übersetzung, bitte«, sagte ich zu ihr.
    »Der Krieg, Kumpel, der Krieg. Verteidigung war angesagt. Wer ‘nen Bullen abknallte, dem bezahlten sie ein schönes Sümmchen. Sie nahmen Ferney und Johnefe unter Vertrag. Ferney war kein guter Schütze, aber das Motorradfahren beherrschte er. Johnefe allerdings war wie ein Adler, wo der hinzielte, schlug die Kugel auch ein. Nachdem sie ihre Geschicklichkeit bewiesen hatten, stiegen sie auf. Es ging ihnen auf einmal gut, sie tauschten das Motorrad und die Waffen aus, und wir setzten einen zweiten Stock auf das Haus. So machte es Spaß zu arbeiten. Alle wollten wir unter Vertrag genommen werden. Etwas später warben sie auch mich an.«
    »Erzähl mir nicht, dass auch du …« Ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte, » … du weißt schon … die Polizisten.«
    »Nicht doch, Kumpel! Dazu tauge ich nicht. Auf Distanz kann ich nicht schießen, es war ja Ferney, der es mir beigebracht hat. Und Ferney trifft nicht mal, wenn er direkt davor steht. Wenn einer respektiert werden will, muss er ein guter Schütze sein. Wenn nicht, sollte er sich lieber nach was anderem umschauen.«
    »Und wie kommt es dann«, fragte ich sie, »dass Ferley von allen respektiert wird?«
    »Ferney«, korrigierte sie mich. »Na, weil er auf dem Motorrad unschlagbar ist. Außerdem hat er uns einmal aus der Patsche geholfen. Wenn er nicht gewesen wäre, würden wir schon längst die Gänseblümchen von unten wachsen sehen. Lag natürlich nur an der miesen Treffsicherheit, denn wir warn gerade in einem heißen Gefecht mit der Bande von Papeleto, und obwohl wir mit Waffen schlecht ausgerüstet waren, hatten wir die Oberhand. Da steht plötzlich einer von den Toten wieder auf und fängt an zu schießen, und Johnefe hatte keine Munition mehr, nur noch Ferney, also ruft ihm Johnefe zu, erledig ihn! Und Ferney feuert zurück, aber anstatt ihn zu treffen, erwischte er einen anderen, der hinter einer Hecke stand und den wir gar nicht gesehen hatten. Plötzlich sahen wir ihn mit einer Mini-Uzi in der Hand über den Boden rollen. Stell dir das mal vor! Mit dem Ding hätte er uns alle weggefegt.«
    »Und der andere, der auferstanden war?«, fragte ich gespannt.
    »Der? Der ist wieder zu den Toten zurückgekehrt.«
    Die ganze Geschichte interessierte mich, weil sie die an der Spitze kennen lernte, indem sie ihren Bruder und damaligen Freund bei den Aufträgen begleitete, die ihnen La Oficina erteilte.
    »Und wie kommt es, dass du es ganz nach oben geschafft hast?«, bohrte ich.
    »Das ist eine lange Geschichte, Kumpel«, sagte sie. »Lass uns lieber noch einen trinken.«
    Wenn sie sich entschlossen hatte zu reden, war Rosario wie ein tropfender Wasserhahn. Sie ließ genügend Tropfen auf die Zunge des Durstigen fallen, dass der sich den breiten Strahl vorstellen konnte. Ihre wohl dosierten Worte waren eine süße und süchtig machende Droge. Das Seltsame war, dass ich am Anfang Zweifel hatte, ob Rosario überhaupt etwas sagen würde. Bei den ersten Treffen beschränkte sich ihre Begrüßung auf ein Lächeln. Nie wussten wir, ob sie zufrieden oder gelangweilt war, ob ihr der Ort, an den wir gingen, gefiel oder ob sie etwas essen wollte. Man musste sie nach allem fragen, wenn man es wissen wollte.
    »Wie ist es möglich, dass du dich mit dieser Frau nicht langweilst, Emilio«, sagten wir zu ihm, »die redet doch kein Wort?«
    »Ja und!«, erwiderte Emilio. »Wozu braucht einer ‘ne Frau, die redet. Ist doch besser so.«
    Mit der Zeit ließ sie ihre ersten Tröpfchen fallen. Aber erst, nachdem sie das Terrain sondiert und sich damit vertraut gemacht hatte. Unter den Neuen suchte sie vertrauenswürdige Augen, eine Seele, bei der ihre Geheimnisse gut aufgehoben wären, und sie fand mich. Allerdings kostete es sie keine große Mühe, weil ich schon seit geraumer Zeit wissen wollte, was hinter diesem Schweigen steckte.
    »Woran denkst du, Rosario?«
    »Wann?«
    »Wenn du schweigst.«
    »Weiß nicht. Woran denkst du?«
    Wenn ich ihr erzählt hätte, dass ich dauernd an sie dachte … Seit dem Morgen, an dem ich verliebt in sie erwacht war, war ich damit beschäftigt, tausend Welten für Rosario zu errichten. Welten, die Sehnsüchten von mir entsprangen, die nicht länger vorhielten als ein Traum und die mit dem dumpfen Schlagen ihrer Zimmertür, mit ihrem Stöhnen, das durch die Wände drang, mit ihrem unberechenbaren Abtauchen bei den Oberharten

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