Die Scheune (German Edition)
Heddon sah ihren Mann ins Winnie eintreten. Er suchte sie. Sie winkte nach der Rechnung und flüsterte zu Sarah: „Lass ihn in diese Scheune gehen. Solange, bis er fertig ist. Glaub mir, er weiß, was er tut. Er muss das ganz alleine schaffen.“ Sie ahnte etwas.
Damit beglich sie die Rechnung und nahm Sarah an der Hand. Sie riefen Dane an, der sie sofort abholte.
Mrs. Heddon hatte genug gehört. Endlich hatte ihre Vermutung Bestätigung bekommen.
*
Dane verbrachte drei Nächte hintereinander in der Scheune und las die Tagebücher seiner Mutter aufmerksam durch. Sie brachten furchtbare Zustände in seiner Familie ans Tageslicht:
Seine Mutter kam aus einer Familie, in der sexueller Missbrauch an der Tagesordnung war. Nur war es nicht ihr Vater gewesen, der sie über viele Jahre angefasst hatte, sondern ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter. Niemand wollte es bemerken. Man schwieg eben.
Samantha Gelton wuchs dadurch mit einem desolaten, sexuellen Gefühl auf und war über die perverse Neigung ihres zukünftigen Mannes keineswegs irritiert. Da sie niemals den Unterschied zwischen einer normalen sexuellen Beziehung und einer Vergewaltigung kennengelernt hatte, empfand sie Will Geltons Vergewaltigungen als normal. Er war gewalttätig und bestimmend. Sie war ihm in jeder Beziehung hörig. Auch als er sich sexuell an seinen Kindern zu befriedigen begann, griff sie nicht ein. Sie hielt sich in ständigen Verzeihungszeremonien gefangen und opferte ein Kind nach dem anderen, ohne etwas zu unternehmen. Man hatte ihr nicht beigebracht, sich zu wehren.
Um das Leben auf der Farm mit Will Gelton erträglich zu machen, flüchtete sie in die Vorstellung, eine traumhaft schöne Zeit mit ihm auf der Farm zu haben.
Samantha Gelton beschrieb auch ihre Schwiegereltern als merkwürdige Menschen.
Will Gelton kam aus einem ebenfalls gewaltbestimmten Elternhaus. Bei ihm war es der Vater gewesen, der ihm Prügel, Missbrauch und andere Strafen beigebracht hatte. Will Gelton wuchs mit unbändigem Zorn gegen seinen Vater auf und übernahm später exakt die gleichen Verhaltensmuster, als sein Farmbetrieb nicht mehr erfolgreich lief. Ein alter Fluch der Familie Gelton stellte sich plötzlich ein und zwang ihn zu den sexuellen Übergriffen.
Die Tagebücher deckten mehr Wahrheit auf als Dane verarbeiten konnte. Er war das Produkt einer kranken Familie. Nicht nur sein Vater war krank, auch seine Mutter war psychisch gestört. Wie viele Generationen aus seiner Familie mochten bereits mit diesen Störungen gelebt haben?
Das brachte ihn völlig durcheinander.
Glaub den Büchern kein Wort, flüsterte das Loch. Alles Lügen! Du bist nicht wie sie.
Sarah hatte sich den Rat von Mrs. Heddon zu Herzen genommen und ließ Dane gewähren, wenn er zur Scheune ging. Sie wollte auch nicht mehr wissen, was er dort tat. Vielleicht war es das beste, wenn er die Geschichte mit seinem Vater dort alleine ausmachte. Nur so konnte er zur Ruhe kommen.
Sarah las noch einmal den Brief, den Dane ihr geschrieben hatte. Er schenkte ihr Trost und Zuversicht.
*
Obwohl das Loch unablässig auf Dane einredete, nichts von alledem zu glauben, konnte er sich einem Trauma nicht entziehen. Bisher hatte seine Mutter immer eine besondere Stellung bei ihm gehabt. Eine Art Heiligenstatus. Der war nun zerbrochen. Er warf ihr plötzlich vor, einfach nur weggeschaut zu haben, als sein Vater ihn peinigte. Eine liebende Mutter würde das niemals tun. Sie hatte jetzt genauso viel Schuld an seinen Schmerzen wie sein Vater. Dabei hatte Dane ihr so viel Vertrauen entgegengebracht.
Seit dem Tag, an dem Dane die Tagebücher gelesen hatte, konnte er nicht mehr richtig schlafen. Wilde Alpträume begannen ihn zu quälen.
„Was hast du in der Scheune gemacht?“, fragte Sarah ihn, als sie bemerkte, dass sich seine nächtlichen Besuche einstellten.
„Ich habe die Tagebücher meiner Mutter auf dem Dachboden gefunden und sie dort gelesen“, antwortete er völlig unbefangen, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Tagebücher, dachte sie, klar. Man sitzt in der Scheune auf dem Boden und redet mit sich selbst. Sollte sie ihn jetzt anschreien? Sie sah, wie Dane aufstand, zum Sideboard ging und zwei vergilbte Bücher herausholte. Er reichte sie ihr und sagte: „Du kannst sie lesen.“
Sarah war irritiert. Was sollte das? Sollte sie ihm jetzt sagen, dass sie ihn in der Scheune beobachtet hatte? Ohne Tagebücher?
„Lies sie! Du willst doch alles wissen. Lies
Weitere Kostenlose Bücher