Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Scheune (German Edition)

Die Scheune (German Edition)

Titel: Die Scheune (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
Vom Netzwerk:
verstärkt durch den Überfall, aber nein, nicht davon allein.“
    Ich nickte verständig. Das ließ sich anpacken. „Wie sind sie zustande gekommen?“
    „Vielleicht durch frühkindliche Gewalt. Bei Untersuchungen von 4000 amerikanischen Jungen fand man, dass Kinder, die zum Beispiel früh geschlagen worden waren und bei deren Geburt es Komplikationen gegeben hatte, oft weil die Mutter keine ausreichende medizinische Beratung und Versorgung während der Schwangerschaft erhielt, diese Risse von wichtigen Nervenfasern. Meist aber bei misshandelten Kindern. Die Folgen sind oft fatal. Die Möglichkeit, später auffällig aggressiv oder gewalttätig zu werden, ist dreimal höher als bei Menschen, die diese Risse nicht aufzeichnen. Das soll jetzt aber nichts heißen. Ich wollte Ihnen nur kurz erklären ... wie gut kennen Sie Ihren Patienten?“
    Ich war zu perplex, um zu antworten. War noch befangen von der vorangegangenen Untersuchung und jetzt dies. Nichts passte wirklich zusammen. „Ich kenne ihn gut ...“, kam es über meine Lippen, „das heißt, ich glaube ihn zu kennen, aber das bringt mich jetzt doch etwas aus der Fassung. Besteht die Möglichkeit, dass diese beschädigten Nervenfasern vererbt sein können, ohne dass diese Voraussetzungen geschaffen sind, die Sie eben erwähnt haben?“
    Jetzt stockte der Professor. Er schaute zu Boden. „Nein, diesen Aspekt muss ich eigentlich ausschließen. Die Untersuchungen sind erwartungslos und willkürlich durchgeführt worden. Es haben sich diese Risse nur bei nachweisbar vorbelasteten Patienten gezeigt. Wir können uns aber leider nur auf die 4000 Untersuchungen beziehen. Ich will nicht bestreiten, dass auch vereinzelt Ausnahmen vorkommen können.“ Der Professor rollte mit seinem Stuhl weg vom Monitor und sah mich an. „Ich muss eine gewisse Schutzhaltung von Ihnen zu Ihrem Patienten feststellen. Ich hätte das gerne erklärt.“
    Ich erklärte ihm kurz mein Verhältnis zu Dane und erhielt etwas Sympathie von meinem Gegenüber.
    „Jetzt verstehe ich, Dr. Clark. Sie sind mit Mr. Galloway gut befreundet, nicht wahr?“ Er brauchte das Nicken nicht abzuwarten. „Das begünstigt unsere Aktion ungemein. Warum haben Sie das nicht früher gesagt? Was wissen Sie über sein bisheriges Leben?“, fragte der Professor und schepperte auf der Tastatur des Computers herum. Das Bild begann sich zu verändern. Bunte Farbschattierungen waren plötzlich zu sehen, aktive Wärme- und Kältezonen, wie er kurz erklärte. „Ich gebe die Aufnahme jetzt für emotionale Reize frei.“
    Die Farbspielereien veränderten sich und schwammen ineinander wie Wackelpudding, bis sich das Bild wieder festigte und die scharfen Konturen seines Gehirns aufwiesen. Aus den warmen Rottönen wurden vermehrt kalte Blautöne, bis sich ein fester Emotionszustand seines Gehirns eingespielt hatte.
    „Er hat nie von früher geredet“, antwortete ich. „Ich kenne ihn seit fünfzehn Jahren als einen korrekten und freundlichen Menschen. Gradlinig. Er hat nie Anzeichen von Gewalt gezeigt oder sich auffällig aggressiv verhalten – eher das Gegenteil. Er ist unglaublich positiv und lustig, temperamentvoll. Aber nicht kopflos oder überdreht. Manchmal auch sehr ruhig. Ja, er trägt hin und wieder eine nahezu unheimliche Ruhe in sich. Ich nenne es dann eine stille Wut.“
    „Wann kommt diese stille Wut an die Oberfläche?“, fragte der Professor.
    Jetzt hatte ich etwas gesagt, was ich gar nicht so schnell belegen konnte. Also dachte ich nach. Ich wühlte in der Kiste meiner Erinnerungen und versuchte, diese stille Wut zu finden. Ich fand sie: „Sie kommt, wenn ich zu nahe an ihn herankommen will.“
    „Sie meinen das im übertragenen Sinne?“
    „Ja, genau. Wenn ich jetzt so über meine Worte nachdenke, wird mir bewusst, wie wenig er immer von sich selbst gesprochen hat oder auch bestimmte Fragen nicht mochte. Ich meine nicht die Fragen nach der Uhrzeit, ich meine die Fragen, die ihn ganz persönlich betreffen, seine Person, seine Vergangenheit. Obwohl, es gab tausend Dinge, über die wir reden konnten, abstrakte Dinge. Aber manchmal konnte man merken, wie ihn etwas beschäftigt hat, an das er keinen heranließ. Das finde ich auch in Ordnung. Ich erzähle auch nicht alles, was mir im Kopf herumgeht. Das macht wohl auch unsere Freundschaft aus. Sie ist unkompliziert.“ Ich hielt mir den Kopf. „Ich glaube, ich zerlege hier etwas in eine völlig falsche Richtung. Er ist eben ein Mensch, der nicht gerne

Weitere Kostenlose Bücher