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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Timonides einen Blick hinüber zu seinem Sohn, der das Abendessen zubereitete – eine merkwürdige Mahlzeit, die aus langen dicken Reismehlfäden, sogenannten Nudeln, bestand, die in einer Brühe gekocht und mit Gemüse und Fleisch vermengt wurden. Nestors rundes Gesicht glühte im Schein seines Küchenfeuers, lächelnd streute er Gewürze in den Topf.
    Timonides schickte ein stummes Dankgebet zu den Sternen empor. Sein Sohn war in Sicherheit. Seine Gräueltat in Antiochia lag hinter ihnen, und obwohl sich die Karawane nicht mehr allzu weit weg von ihrem Ziel – dem Kaiserlichen Hof von China – befand, würden, bis sie wieder in Rom waren, Nestor und Bessas vergessen sein. Ganz offensichtlich hatten die Götter Timonides für die verfälschte Auslegung von Horoskopen nicht gestraft. Sie schienen bei einem Mann, der seinen Sohn beschützen wollte, Nachsicht zu üben.
    Die Frühjahrsnächte waren noch kühl. Während Timonides seinen Umhang enger um sich zog, grübelte er darüber nach, wie wundersam es doch war, sich auf der anderen Seite der Welt zu befinden. Sie hatten ihr Lager in den Bergen aufgeschlagen, ein riesiger Tross aus Kamelen, Eseln und Pferden, begleitet von Männern, Frauen und Kindern. Darüber hinaus wurden Herden von Schafen und Ziegen mitgeführt, um die Verpflegung derart vieler Menschen sicherzustellen. Wo immer sie unterwegs waren – durch Städte, Provinzen, über tosende Flüsse und an grünen Tälern vorbei, über Gebirgspässe, durch trostlose Wüsten und liebliche Ebenen –, überall erregte die Gallus-Karawane Aufmerksamkeit und Neugier. Von Persien durch Samarkand, über das hochaufragende Pamir-Gebirge, vorbei an den rotgoldenen Wanderdünen der Taklamakan-Wüste im ausgedörrten gigantischen Tarim-Becken, hatte Sebastianus mit Stammeshäuptern und Potentaten, einfachen Schafhirten und aufgeblasenen Königen gespeist, Handel getrieben und Informationen ausgetauscht. Er hatte geronnene Kamelmilch getrunken und sich Lamm-Kebab mit Zwiebeln und zum Nachtisch süßen Reispudding mit Rosinen schmecken lassen. Und wenn seine Karawane wieder weiterzog, hatte er Reisende mitgenommen, die seinen Schutz suchten – etwa eine Familie, die zu einer Hochzeit in Kokonor wollte, oder Gesandte aus Sogdiana, die mit gegengezeichneten Handelsabkommen nach Tashkurgan unterwegs waren, oder Mönche, die sich als Buddhisten bezeichneten und die Lehren ihres Begründers aus Indien nach China brachten. Die Gallus-Karawane hatte in glühendheißen Wüsten gelagert und in Gebirgsregionen, die von Schneestürmen heimgesucht wurden, hatte Aufnahme in Dörfern gefunden und in Ansiedlungen, die aus Nomadenzelten und Lehmhütten bestanden, und, je weiter sie nach Osten kamen, die Annehmlichkeiten chinesischer Teehäuser kennengelernt. Gegenwärtig lagerte die Karawane im Tsingling-Gebirge in der Nähe von Chang’an, eine Tagesreise von ihrem Ziel, dem sagenhaften Luoyang, entfernt.
    Timonides sah seinen Herrn an seinem separaten Lagerfeuer sitzen und die neuesten Karten der Region studieren. Kurz überlegte er, was ihm wohl gerade durch den Kopf gehen mochte – zweifelsohne schweiften seine Gedanken zwischendurch auch zu Ulrika ab –, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Flammen und dem »Orakelknochen« zu.
    Sebastianus seinerseits wurde jäh durch johlendes, von Alkohol angeheiztes Gelächter aus seinem Kartenstudium gerissen. Er blickte auf und sah, wie Primo und seine Männer in dicken Mänteln um ihr Lagerfeuer herumsaßen und einen Weinschlauch von Hand zu Hand wandern ließen. Wir sind eben schon seit unendlich langer Zeit unterwegs, meine Gefährten und ich, befand er. Doch schon bald werden wir die Wunder einer Welt sehen, die kein Römer je zu Gesicht bekommen hat: das Land der Blumen.
    Entlang des Weges hatte Sebastianus wundersame und unterhaltsame Geschichten über das Volk der Han zu hören bekommen, darunter auch schier unglaubliche – »Die Frauen gebären durch den Mund.« »Die Menschen werden tausend Jahre alt«. Morgen würde er alles mit eigenen Augen erleben. Wenn nur Ulrika hier wäre und seinen Triumph miterleben könnte! Seine Sehnsucht nach ihr war grenzenlos. Jede Kleinigkeit würde er sich einprägen, um sie daran teilhaben zu lassen, wenn sie wieder zusammen waren.
    Vom Schulterblatt des Ochsen kam ein splitterndes Geräusch, worauf der Wahrsager es unter Zuhilfenahme einer Zange aus Bronze aus dem Feuer holte. Aus einiger Entfernung beobachtete Sebastianus,

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