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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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zu: »Haltet ein!«
    Verdutzt kamen Primo und sein Trupp der Aufforderung nach. Jetzt, da sie die Räuberbande sozusagen im Griff hatten, wäre es eigentlich angebracht, auch diesen Gesetzlosen noch einen abschließenden Denkzettel zu verpassen. Aber noch ehe er protestieren konnte, riss er die Augen auf angesichts dessen, was da von Osten her auf sie zukam.
    Umgeben von schwankenden Laternen näherte sich eine von zwanzig Trägern geschulterte prächtige Sänfte in Rot und Gold, gefolgt von einer Prozession von weiteren zwanzig Männern, die alle in rote und goldene Seide gekleidet waren und schwarze Seidenkappen trugen. Zwei Männer führten einen riesigen Messinggong zwischen sich mit, schwer beladene Packtiere bildeten das Ende des Zuges.
    Sebastianus hatte geahnt, dass der Kaiser, sobald Kunde von der Karawane aus dem Westen Luoyang erreichte, den Fremden eine Abordnung entgegenschicken würde. Jetzt beobachtete er, wie die bemerkenswerte Prozession zum Stillstand kam, die Sänfte in Rot und Gold feierlich abgesetzt wurde und ein beeindruckender Mann, umgeben von im Nachtwind flackernden Fackeln und knatternden Bannern, auf ein Kissen trat, das man vor ihn auf den Boden gelegt hatte.
    Er war hochgewachsen und hager, das schmale, knöcherne Gesicht von gelblicher Hautfarbe. Zu schwarzen Seidenschuhen trug er weiße Socken, die unter dem Saum seiner mit einer Schärpe gegürteten und aufwendig mit Drachen und Vögeln bestickten roten Seidenrobe hervorblitzten. Ein dünner weißer Bart reichte ihm bis hinunter auf die Brust, ein langer schmaler Oberlippenbart bis unterhalb des Kinns. Seine Wangenknochen waren hoch angesetzt, seine Augen, über denen sich dünne weiße Brauen wölbten, mandelförmig und schräg geschnitten. Als Kopfbedeckung trug er einen breitkrempigen Hut aus steifer schwarzer Seide, sein langes weißes Haar war hochgesteckt.
    Schweigend, die Hände in den weiten Ärmeln seiner Robe verschränkt, kam er näher. Dunkel glänzende Augen musterten die Fremden der Reihe nach, wie um zu versuchen, den Anführer der Gruppe ausfindig zu machen. »Seid ihr die Reisenden aus Li-chien?«, fragte er schließlich. Die Übersetzung aus dem Chinesischen erfolgte erst in Kashmiri, dann in Persisch und schließlich in Lateinisch.
    Wie Sebastianus wusste, war Li-chien die chinesische Bezeichnung für das Römische Reich, das noch nie ein Chinese betreten, über das sie aber geheimnisvolle Geschichten gehört hatten. »Das sind wir«, gab er Auskunft.
    Der Mann verbeugte sich. »Edler Fischreiher, demütiger und unwürdiger Diener Seiner Kaiserlichen Majestät des Kaisers der Großen Han-Dynastie, dem Sohn des Himmels, dem Herrscher über Zehntausend Jahre. In aller Demut lade ich dich und deine Begleiter ein, das Haus meines Herrn, dem daran gelegen ist, Reisende von so weit her kennenzulernen, mit eurem Besuch zu beehren.«
    Wie Sebastianus unterwegs erfahren hatte, war Kaiser Guangwu gestorben und Kronprinz Zhuang hatte als Kaiser Ming den Thron bestiegen. »Bist du gekommen, um uns zu Kaiser Ming zu begleiten?«
    Edler Fischreiher nickte mit einem leichten Zucken seiner Augenbrauen. »In aller Bescheidenheit kommt mir die Ehre zu, die erlauchten Gäste meines Herrn mit der bei Hofe geltenden Etikette und dem höfischen Protokoll vertraut zu machen, denn wie solltet ihr darüber Bescheid wissen, wenn ihr nie hier gewesen seid? Es ist verboten, den Namen des Kaisers oder den eines Mitglieds der kaiserlichen Familie oder einer hochgestellten Persönlichkeit auszusprechen. Mich dürft ihr Edlen Fischreiher nennen, denn ich bin nur ein einfacher Diener am kaiserlichen Hof. Um den Kaiser anzusprechen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, mit denen ich euch vertraut machen werde.«
    Es war ganz offensichtlich, dass sich der kaiserliche Abgesandte bemühte, die Fremden nicht anzustarren. Sebastianus fragte sich, ob das, was die Chinesen über die Römer gehört hatten, ebenso haarsträubend war wie das, was die Römer über die Chinesen zu wissen meinten. Als Edler Fischreiher in die Richtung deutete, in der Luoyang lag, war Sebastianus an der Reihe, große Augen zu machen: Die Fingernägel des chinesischen Beamten waren so lang, dass sie sich spiralförmig nach unten bogen, und jeder war mit einer goldenen Kappe geschützt.
    »Hochgeschätzter Freund«, gab Sebastianus ihm über die Dolmetscher zu verstehen, »du würdest uns eine große Ehre erweisen, wenn du unser Lagerleben teilen würdest. Und während du

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