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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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bestimmt etwas dagegen, wenn seine Bevollmächtigten vor dem Monarchen eines anderen Landes den Kotau ausführten.«
    »Das ist richtig«, erwiderte Edler Fischreiher, auch wenn sein dünner weißer Bart zitterte. »Dennoch zieht jede Missachtung des Protokolls den sofortigen Tod nach sich, und so elend und unwert mein armer Kopf auch sein mag, bin ich noch nicht bereit, mich von ihm zu trennen.«
    Sebastianus schmunzelte. »Kein Sorge, werter Freund. Wir sind Römer, und als vernunftbegabte Menschen sind wir zu einem Kompromiss bereit.«
    Nun ging es durch viele Tore und Türen, um unzählige Wandschirme und über großflächige Innenhöfe, bis sie schließlich die hundert Stufen zum kaiserlichen Thronzimmer hochgeführt wurden. Sebastianus, seine drei Freunde, Nestor und dahinter die Übersetzer schritten über einen spiegelblanken Boden und vorbei an Reihen von rotlackierten Säulen, zwischen denen sich in fließende Seidengewänder gekleidete Männer und Frauen aufhielten, die, die Hände in die Ärmel geschoben, neugierig und in erwartungsvollem Schweigen die von Edlem Fischreiher angeführte Prozession beobachteten. Die Männer hatten ihr von einer schwarzen Seidenkappe bedecktes langes Haar zu einem Knoten geknüpft; die Frauen präsentierten sich mit kunstvoll verschlungenen und mit Perlen und Quasten verzierten Frisuren.
    Als sich die Besucher dem Podest näherten, auf dem das Kaiserpaar saß, hielten sich junge Frauen in dunkelroten und blauen Gewändern ihre Fächer vors Gesicht und tuschelten miteinander, ohne ihre mandelförmigen Augen von Sebastianus und seinem kurzen bronzefarbenen Haar abzuwenden.
    Auf einen Gongschlag hin erschienen Priester in langen Gewändern und aufwendigen Kopfbedeckungen, in der Hand Rauchschalen, die einen stechenden Geruch verbreiteten. Zu den Schlägen des Gongs beschrieben sie mit ihren Schritten Kreise, und die Stimme eines Unsichtbaren rief Zaubersprüche und die Namen von Göttern. Während dieses reinigenden und heiligenden Rituals musterte Sebastianus ungeniert den Mann, den aufzusuchen er Tausende von Meilen zurückgelegt hatte.
    Der Kaiser und seine Gemahlin saßen unbeweglich wie Statuen auf ihrem jeweils kunstvoll aus Rosenholz gefertigten Thron. Ihre Gewänder waren aus derart leuchtend gelber Seide gefertigt, dass einem der Vergleich mit einem doppelten Sonnenaufgang in den Sinn kam. Ming trug eine eigenartige Krone – sie sah aus, als bestünde sie aus steifer schwarzer Pappe, von der vorn und hinten mit Perlen durchwirkte Fransen herabhingen. Das lange Haar, das sich darunter verbarg, war zu einer raffinierten Frisur hochgesteckt. Auch die Haartracht der jungen und hübschen, wenngleich stark geschminkten Ma war ein wahres Meisterwerk und zudem derart dicht mit Haarnadeln aus Jade, Stäbchen aus Elfenbein sowie Ornamenten und Juwelen bestückt, dass man fast den Eindruck gewann, ihr schlanker Nacken könne ein solches Gewicht kaum tragen. Gleich ihren Höflingen und Staatsmännern und anwesenden Adligen war bis auf das Gesicht kein Körperteil des kaiserlichen Paars entblößt, von den mit Pantoffeln bekleideten Füßen auf den goldenen Schemeln bis hin zu den voluminösen Seidenärmeln, in denen die Hände verborgen waren, und den leuchtend roten Rollkrägen unterhalb des Kinns.
    Neben der kaiserlichen Gemahlin standen mehrere anmutige junge Mädchen, die kaum weniger raffiniert frisiert und in fließende Seide gewandet waren. Sie schienen einen Wandschirm aus Bambus zu bewachen, hinter dem, wie Sebastianus von Edlem Fischreiher erfahren hatte, die Mutter des Kaisers zu sitzen pflegte, die Kaiserliche Witwe Yin, allen Blicken verborgen und doch alles überschauend.
    Kaum dass Edler Fischreiher Sebastianus und seinen Begleitern bedeutet hatte stehen zu bleiben, sanken der Übersetzer aus Soochow und sein Kollege aus Kaschmir auf die Knie, um sich vor dem Souverän niederzuwerfen. Der Mann, der persisch und lateinisch sprach und aus Pisa stammte, blieb hingegen stehen.
    »Macht es einfach so wie ich«, raunte Sebastianus Timonides, Nestor und Primo zu. Und an Ming gewandt: »Edle und Erhabene Majestät, wir kommen in Frieden und im Namen von Nero Cäsar, Kaiser von Rom. Nach den Gesetzen und Gepflogenheiten meines Landes sind alle Bürger Roms gleich, keiner ist höher gestellt als der andere, nicht einmal unser Kaiser, obwohl wir ihn sehr wohl als Ersten Bürger bezeichnen. Wir entbieten unserem Cäsar keinen Kotau, wir verbeugen uns nicht einmal vor ihm,

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