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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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bitte unseren geschätzten Besucher, mir, einem elenden Diener zu vergeben, falls ich ihn gekränkt haben sollte. Aber ich kenne eure Gebräuche für Trauer nicht. Sollte ich dich oder deine Familie irgendwie entehrt haben, möge mir der Tod von tausend Stichen beschert sein. Wer … wer ist denn gestorben?«
    Zunächst nahm Sebastianus an, der Übersetzer hätte einen Fehler gemacht. Als aber die Frage wiederholt wurde, sagte er: »Niemand. Warum?«
    Edler Fischreiher sah ihn verständnislos an. »Weil du in Weiß gekleidet bist und dir das Haar abgeschnitten hast.«
    »So kleiden wir uns für gewöhnlich in Rom.«
    »Ah, verstehe.«
    Aber der verzweifelte Gesichtsausdruck blieb, und zusätzlich bemerkte Sebastianus nervöse Bewegungen in Edlen Fischreihers Seidenärmeln, der offenbar seine dort verborgenen Hände rang. »Gibt es ein Problem?«, fragte der Karawanenführer.
    »Schlage mich für meine Unwissenheit tot, werter Gast, ich bin fürwahr ein unwürdiger und ungebildeter Mann. Aber ich kann mir euren anderen Brauch nicht erklären …«
    »
Anderen
Brauch?«
    Edler Fischreiher suchte das Schlafzimmer nach seinen nächsten Worten ab, musterte die gewebten Matten und die Bambusreiser, als müssten sie dort zu finden sein. »Vielleicht würden sich meine erlauchten Gäste in chinesischen Gewändern wohler fühlen?«, tastete er sich schließlich vor.
    »Wir fühlen uns so, wie wir sind, durchaus wohl«, knurrte Primo, der allmählich Hunger verspürte und die Geduld verlor. »Was ist an unserer Kleidung auszusetzen?«
    Sebastianus dachte an die Menschen, die sie auf den Straßen gesehen hatten, an die Bauern auf den Feldern, an die Diener und Untergebenen innerhalb dieser Mauern. Mit einem erneuten Blick auf Edlen Fischreihers äußeres Erscheinungsbild kam ihm die Erleuchtung: Trotz des warmen Frühlingstages blieben nur Hände und Gesicht unbedeckt. Und bei einem hohen Beamten wie Edlem Fischreiher waren sogar die Hände verborgen.
    Die Tuniken, wie sie Sebastianus und seine drei Freunde trugen, hatten kurze Ärmel und entblößten die Arme; da sie außerdem nur knielang waren, ließen sie viel Bein sehen. »Wir wollen euch nicht kränken, Edler Fischreiher, aber wir sind hier als Bürger Roms und Vertreter unseres eigenen Kaisers. Da es um ein erstes Zusammentreffen unserer beider Welten geht und um einen kulturellen Austausch, wie er noch nie zwischen unseren beiden Völkern stattgefunden hat, wäre es unehrlich von uns, anders vor deinen Kaiser zu treten, als es uns entspricht.«
    Der weißhaarige Beamte musste diese logische Begründung erst einmal verdauen. Da er kein Gegenargument fand, schwenkte er auf das komplizierte höfische Protokoll über.
    Während die Mägen von Timonides und Primo knurrten und gurgelten und Nestor sich fragte, ob sie Nudeln vorgesetzt bekommen würden, hörte sich Sebastianus höflich die vielen Regeln der höfischen Etikette an und versprach, sich mit seinen Freunden so weit wie möglich daran zu halten. Erst als der
Kotau
zur Sprache kam, wurde es schwierig.
    Um dieses Ritual zu demonstrieren, sprach Edler Fischreiher in scharfem Ton auf einen der Diener ein, der zum Erstaunen der ausländischen Besucher daraufhin auf die Knie fiel, sich mit den Händen abstützte und mit der Stirn den Boden berührte. Danach sprang der Diener auf und wiederholte diese Geste achtmal hintereinander.
    »Genauso wirst du und werden deine Freunde dem Herrscher des Himmels Respekt zollen«, beschied sie Edler Fischreiher und lächelte.
    »Großer Zeus«, murmelte Timonides, und aus Primo brach es heraus: »Kommt nicht in Frage, dass ich auf dem Fußboden rumrutsche und meinen Arsch für irgendeinen unzivilisierten Barbaren in die Höhe recke, König hin oder her!«
    Der erste Übersetzer, der aus Soochow stammte und fließend Kashmiri sprach, erbleichte und wagte nicht, die Beleidigung an den zweiten Übersetzer weiterzugeben, der aber bereits dem Tonfall des Römers entnommen hatte, dass sein Kommentar respektlos und somit gefährlich war.
    »Wir verstehen durchaus deinen Wunsch, deinem Kaiser auf gebührende Weise Respekt zu erweisen«, versuchte Sebastianus die Wogen zu glätten. »Genau dies werden wir auch tun. Aber als Bürger Roms und Bevollmächtigte unseres eigenen Kaisers wäre es ein Vertrauensbruch an ihm, vor deinem Kaiser den Kotau zu praktizieren, denn das würde bedeuten, dass unser Kaiser ein Untertan deines Herrschers ist. Wäre die Situation umgekehrt, hätte Kaiser Ming

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