Die Schicksalsgabe
Türme besetzt hielten. Ihre Rüstung glänzte in der Sonne, die Armbrust war einsatzbereit. Edler Fischreiher dirigierte die Karawane zur Westseite der Stadt, auf eine großräumige Freifläche, auf der bereits kleinere Karawanen lagerten und wo, keineswegs zu Sebastianus’ Überraschung, ein Großaufgebot an kaiserlichen Soldaten darauf wartete, ihrem Auftrag als Bewacher der neu eingetroffenen Waren aus dem Westen nachzukommen.
»Du wirst uns die Ehre zuteil werden lassen«, sagte Edler Fischreiher, »unser Gast in der Stadt zu sein. Wenn du möchtest, kannst du ein paar persönliche Gegenstände aus deiner Karawane mitnehmen.«
Am Stadttor standen Sänften für die Besucher bereit, kleine, mit leuchtenden Stoffen umhüllte Gefährte, die von Sklaven in entsprechend farblich abgestimmten Gewändern geschultert wurden. Edler Fischreiher und sein Gefolge führten den Zug an, dahinter folgten Sebastianus, Primo, die drei Dolmetscher sowie Timonides und in seinem Schlepptau Nestor, auf dessen Kommen der Astrologe bestanden hatte, schon weil sein Sohn in letzter Zeit des Öfteren auf eigene Faust herumgestromert war.
Als die Prozession auf der anderen Seite des Stadttors herauskam und die Neuankömmlinge einen Blick durch die kleinen Fenster ihrer Sänften riskierten, stellten sie fest, dass sie sich auf einer von Zuschauern gesäumten breiten Straße befanden. Dahinter erhoben sich mehrstöckige Pagoden, deren rote Keramikdächer in der Sonne blitzten. An den überdachten Sänften bimmelten winzige Glöckchen im Rhythmus der Schritte der Träger. Als Sebastianus Küchendüfte und Rauch und das Parfüm blühender Blumen in die Nase stieg, als er den exotischen chinesischen Tonfall der Bewohner vernahm, die sich über das eigenartige Aussehen der Fremden ausließen –, als er sich bewusst wurde, dass er wirklich und endlich hier war, als Erster aus dem Westen die Hauptstadt des kaiserlichen Chinas betrat, weitete sich ihm förmlich die Brust vor Stolz und Erregung. Er schickte ein stilles Gebet an seine Ahnen – an die Väter und Großväter, die vor ihm Handelsrouten erschlossen hatten und denen auch dieser Augenblick, da ein Sohn aus der Familie Gallus die andere Seite der Welt erreicht hatte, viel bedeutet hätte. Er hatte es geschafft!
Noch während er voller Zufriedenheit tief einatmete, schoss ihm durch den Kopf: Ritte doch nur Ulrika jetzt an seiner Seite. Mit ihr wäre sein Triumph vollkommen.
Sie wurden durch ein weiteres Tor und in einen Innenhof getragen, wo Bedienstete bereits ihrer harrten. Wie Edler Fischreiher erklärte, war dies die geschätzten Besuchern und bedeutenden Würdenträgern vorbehaltene Residenz. Hier hätten Sebastianus und seine Begleitung Gelegenheit, sich vor der Begegnung mit dem Kaiser den Staub und Schmutz der Reise abzuwaschen.
Unter den neugierigen Augen von Dienern in Pumphosen und gewickelten Tuniken wurden sie durch einen mit blutroten Säulen gesäumten Wandelgang geleitet. Die Zimmer waren zwar nur mit niedrigen Tischen und Polstern möbliert, dafür aber mit herrlichen Teppichen, zauberhaften Wandbehängen, bemalten Wandschirmen, großen, mit frischen Blumen gefüllten Gefäßen aus Bronze und Jade ausgestattet.
Im Verlauf ihres monatelangen Unterwegsseins hatten sich Sebastianus und seine Gefährten daran gewöhnt, sich wie die Einheimischen zu kleiden; in ledernen Beinkleidern und lammwollnen Tuniken waren sie in Luoyang angekommen. Diese wurden jetzt abgelegt, um sich einem genussvollen Dampfbad in riesigen, mit duftendem Wasser gefüllten Wannen hinzugeben. Zum Entsetzen wie zum Entzücken der erschöpften Männer aus Rom gesellten sich junge Mädchen in langen blauen Wickelkleidern hinzu, um ihnen Rücken und Gliedmaßen zu schrubben und anschließend ihre Körper mit warmem Öl zu massieren. Sebastianus, Timonides und Primo gönnten sich die erste Rasur und den ersten Haarschnitt seit Monaten und kamen sich endlich wieder wie zivilisierte Römer vor.
Als Edler Fischreiher sie abholen kam, um sie zum Herrscher Über Zehntausend Jahre zu geleiten, starrte er verblüfft seine veränderten Gäste an, die jetzt formell in die römische Tunika und Toga gekleidet waren, in griechische Gewänder oder in die Tunika und den ledernen Brustharnisch eines Legionärs.
Er schnappte nach Luft und seine normalerweise unter Kontrolle gehaltenen Gesichtszüge entgleisten, drückten Verzweiflung aus. Er schien um Worte zu ringen. Nach langem Schweigen sagte er endlich: »Ich
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