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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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du keinen Kummer mehr damit haben.« Diskret wischte sie sich die Hand am Saum ihres Gewandes ab.
    »Wie möchtest du bezahlt werden?«, fragte Sebastianus, bass erstaunt über das, was er da eben mitangesehen hatte. Woher wusste sie, wie man so etwas behandelte?
    »Nicht mit Geld«, erwiderte sie. »Vermittle mir nur einen zuverlässigen Händler, der mich so schnell wie möglich nach Colonia bringt.«
    Sebastianus griff nach ihrem Gepäck. »Ich kenne jemanden, der dafür in Frage kommt«, sagte er. Und zu Timonides gewandt: »Kann ich hoffen, dass du jetzt in der Lage bist, ein genaues Horoskop zu erstellen?«
    »Aber gewiss doch, Meister, sobald ich etwas Deftiges im Bauch habe!«
    Sebastianus nickte und tauchte gleich darauf mit dem jungen Mädchen in der lärmenden Menge unter.
     
    Ein gusseiserner Kochtopf brodelte über einem Feuer zwischen zwei Zelten. Daneben ein aus einzelnen und somit transportierbaren Steinen gefügter Herd, der einen Duft wie beim Brotbacken verströmte. Auf den heißen Steinen brutzelten frische Eier in Olivenöl.
    Ein großer Mann mit einem runden, abgeflachten Gesicht, schräg stehenden Augen und angetan mit einer speckigen grauen Tunika rührte versonnen lächelnd mit einem Holzlöffel in dem Kochtopf herum. Als er Timonides sah, strahlte er übers ganze Gesicht.
    »Gute Nachricht, mein Sohn!«, rief Timonides. »Ich bin wieder gesund! Bei den Göttern, ich kann wieder essen. Tisch mir dieses Schmorgericht auf, Junge, ich bin völlig ausgehungert!«
    Nestor war der Chefkoch der Gallus-Karawane. Ihm oblag es, das Essen für Sebastianus und dessen inneren Zirkel zuzubereiten, zu dem ein Buchhalter, ein persönlicher Diener, ein Sekretär, zwei bei der Führung der Karawane mitverantwortliche Helfer sowie Timonides der Astrologe gehörten. Der geistig wie körperlich schwerfällige Nestor hatte nie lesen gelernt und somit auch nie ein Rezept in die Hand genommen. Dafür hatte er das Talent, die köstlichsten Mahlzeiten zuzubereiten, wusste genau, welches Gewürz beizugeben war und wie viel davon. »Ja, Papa«, kicherte er. Nestor war dreißig und Timonides’ einziges Kind.
    Der alte Grieche ließ sich zu dem schmackhaften Mahl nieder, und während er erwartungsvoll jedem einzelnen Bissen entgegensah, befühlte er seine nicht länger schmerzende Kinnlade. Er dachte an das Mädchen mit den begnadeten Fingern und wie schnell und geschickt sie ihn von den schlimmsten Höllenqualen, die man sich vorstellen konnte, befreit hatte. Höllenqualen, die ihn, wie er inständig hoffte, nie wieder heimsuchen würden …
    Er hielt inne. Ein Fladenbrot in der Hand, mit dessen Hilfe er den Eintopf aus Schweinefleisch und Pilzen aufschöpfen wollte, blinzelte Timonides in das Gewoge von Händlern und Arbeitern, Kaufleuten und Reisenden. Ein entsetzlicher Gedanke durchfuhr ihn.
    Timonides der Astrologe nahm seinen Beruf sehr ernst. Ehe er ein Horoskop erstellte, pflegte er zu baden, zu meditieren, frische Kleider anzulegen, sich körperlich und geistig zu reinigen. Er glaubte fest daran, dass das Erstellen und die Auslegung von Horoskopen so heilig und feierlich war wie jedes Tempelritual und ein Astrologe dies nicht weniger heilig und ehrfurchtsvoll tat als ein Priester. Schließlich bedienten sich die Götter der Sterne, um den Sterblichen Botschaften zukommen zu lassen, so dass die Deutung solcher Botschaften eine ernste und erhabene Angelegenheit war.
    Im Gegensatz zu vielen anderen Sehern und Auguren war es ihm nie in den Sinn gekommen, seine Talente zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Im Gallus-Haushalt wurde er verköstigt und hatte eine sichere Unterkunft, und damit war er zufrieden. Wie viele Wahrsager gab es dagegen, die ihre Kunst gewinnbringend nutzten! Manche lebten sehr gut davon, Lügenmärchen aufzutischen. Solche Scharlatane, dessen war sich Timonides sicher, würden dereinst auf ewig im Hades jammern und wehklagen. Er dagegen hatte nie gegen die Regeln seiner Kunst verstoßen, auch wenn er insgeheim einen Herzenswunsch hegte.
    Eine tragische Ironie prägte Timonides’ Schicksal. Für immer dazu bestimmt, die Sterne für andere zu deuten, würde sich der Astrologe niemals sein eigenes Horoskop erstellen lassen können: Weder wusste Timonides, wann, noch wo er geboren war, geschweige denn, wer seine Eltern waren. Jemand hatte ihn in Rom auf einem der vielen Haufen Unrat gefunden, auf denen unerwünschte Kinder abgelegt wurden und zum Sterben verurteilt waren, sofern man sie nicht zu

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