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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Bürger Babylons ein Exempel statuieren. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Leute still verhalten. Sie sollen hinter den Ruinen bleiben. Primo und ich werden uns dem Kampf stellen. Vielleicht begnügt sich der Hohepriester mit wenigen Opfern.«
    Mit Ulrika an seiner Seite beobachtete er, wie der Strom aus Fackeln näher an die Ruinen heranrückte; hinter ihnen vernahm man das leise Beten der verängstigten Menge. Primo und seine Soldaten standen mit gezückten Waffen bereit. Der Wind heulte über die Wüste.
    So viele Leben in höchster Gefahr. Es musste einen Weg geben, diese Menschen zu retten.
    Ulrika wandte ihr Gesicht dem Wind zu, schloss die Augen und atmete langsam tief ein. Dann legte sie die Hand an die kalte Steinmauer der Burg. Wenn sich unter diesen Ruinen tatsächlich ein Grab befindet, überlegte sie, ist es dann groß genug, um all diese Menschen aufzunehmen? Wenn nicht alle, dann wenigstens die Kinder und Kranken? Und wenn dort ein Grab war, konnte es durchaus sein, dass es für die Tempelwachen tabu war, sich ihm zu nähern, nicht anders als das Grab des weisen Mannes im Rheinland, um das die germanischen Krieger einen Bogen gemacht hatten.
    Nach einem weiteren reinigenden Atemzug konzentrierte sich Ulrika auf ihre innere Seelenflamme. Geist dieses Ortes, betete sie stumm. Ich flehe dich um Hilfe an.
    Sie wartete auf eine Vision. Als sie ausblieb, konzentrierte sie sich noch mehr auf ihre flackernde Seelenflamme, umfasste mit der freien Hand die Kammmuschel auf ihrer Brust und sandte erneut ihr Gebet aus.
    Als wiederum nichts geschah, überkam sie leise Panik. Ihr Mund war wie ausgetrocknet, ihre Handflächen wurden feucht. Sie hatte ihre Meditation zum Wohle anderer doch bereits erfolgreich angewandt! Allerdings jeweils nur für einen Einzelnen. Würde sie auch jetzt, da Hunderte von Seelen in Gefahr waren, in der Lage sein, ihre Gabe zu nutzen? Oder wirkte sie nur jeweils für eine Person?
    Als sie merkte, wie ihr Herz raste und die Tempelwachen nicht mehr weit waren, verdoppelte sie ihre Anstrengungen. Wenn der Prophet Daniel wirklich hier begraben war, dann war dies heiliger Boden. Und sie musste handeln. Dies war ihre Bestimmung. Sie durfte nicht in Panik geraten. Sie durfte nicht zulassen, dass Furcht über ihre innere Kraft siegte.
    Sie blendete eine Sinneswahrnehmung nach der anderen aus – wurde taub für die Gebete vieler Hunderter, wurde blind für die flammenden Fackeln, die sich von der Wüste her näherten, spürte nicht länger den Wind und die Kälte auf ihrer Haut, nur noch die Mauersteine, an die sie ihre Finger presste.
    Wieder öffnete sie sich, ließ ihrer Seele freien Lauf und bat das heilige Wesen dieses Ortes um ein Zeichen.
    Endlich bewegte sich ihr Geist – durch uralte Staubschichten, hartes Gestein und über zeitlose Jahre hinweg, bis sie merkte, dass er etwas berührte.
    Ulrikas Stirn kräuselte sich. Da war etwas, direkt vor ihr, und doch sah sie, anders als bei früheren Visionen, nur Dunkelheit. War ihre innere Sicht blockiert?
    Nein, nicht blockiert. Die Dunkelheit selbst ist die Vision.
    Modriger Geruch stieg ihr in die Nase, sie spürte Geröll und Kies unter ihren Sandalen, sah lange Gänge und an ihrem Ende schwaches Licht, hörte das Rasseln von Waffen und stampfende Schritte. Und sie begriff …
    »Sebastianus!«, rief sie aus. »Ehe dies zu einem Grab wurde, war hier ein militärischer Außenposten!«
    »Wie bitte?«
    »Diese Zitadelle wurde vor vielen hundert Jahren zum Schutz gegen Eindringlinge aus dem Süden erbaut«, sagte sie. »Hierher entsandte der König seine Soldaten, um Überraschungsangriffe durchzuführen. Sebastianus, unter uns befinden sich unterirdische Gänge, die zu einer nördlich gelegenen und eine Meile entfernten Oase führen! Wenn ich nur herausfinde …« Sie legte die andere Hand auf das raue Gestein, tastete über die kalten Mauern der Ruinen. Ihre Hand glitt in eine Spalte. »Hier!«
    Sebastianus rief nach Primo und mehreren starken Männern. Im Schein von Fackeln und während Späher die sich nähernde Garde aus der Stadt im Auge behielten, rammten sie die Schäfte ihrer Speere in die Spalte, stemmten sie unter Aufbietung all ihrer Kräfte auseinander, bis einer der Gesteinsblöcke nachgab und wegbrach.
    Modrige Luft kam ihnen entgegen. Sebastianus griff nach einer Fackel, zwängte sich durch die Öffnung, sah mit Staub und Geröll bedeckte steinerne Stufen, die ins Dunkel führten.
    »Es könnte klappen«, sagte er,

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