Die Schicksalsgabe
Wahrheit mit Nero verhält.«
Ulrika rief nach den Sklaven und befahl ihnen, Feuer zu machen. Dann weckte sie Sebastianus, der gleich darauf, in seinen Umhang gehüllt, ins Freie trat. Von dem Stimmengewirr wurde auch Rachel wach. Als sie ihre Freunde um das Feuer versammelt sah, griff sie sich ebenfalls ihren Umhang und setzte sich zu ihnen.
»Edler Gallus«, hob Primo so förmlich an, dass Sebastianus sich verblüfft fragte, welch außergewöhnliches Geständnis jetzt erfolgen würde. »Ich war dir gegenüber stets treu, auch wenn ich als Soldat der Meinung war, in erster Linie meinem Kaiser zu Loyalität verpflichtet zu sein. Loyal gegenüber dem einen und loyal gegenüber dem anderen zu sein – darüber bin ich in einen Konflikt geraten, und in meinem Bestreben, sowohl dem einen wie auch dem anderen zu dienen – einerseits Cäsar zufriedenzustellen, andererseits dich davor zu bewahren, des Verrats angeklagt zu werden –, habe ich alle Schuld Ulrika angelastet und einen Bericht auf den Weg gebracht, in dem ich Cäsar wissen ließ, dass du im Bann einer Hexe stehst.«
»Im Bann einer Hexe!« Sebastianus konnte es nicht fassen.
»Ja, ich bezichtigte Ulrika, eine Hexe zu sein.«
Völlig entgeistert schaute sie ihn an. Und dann gefror ihr das Blut.
In Rom stand einem Ehemann das Recht zu, seine Frau zur Abtreibung zu zwingen, wenn er vermutete, dass das Kind nicht von ihm war oder wenn er das Kind nicht wollte. Einer Frau hingegen war es untersagt, aus welchen Gründen auch immer abzutreiben. Weshalb solche Frauen Hilfe bei denen suchten, die sich darauf verstanden, eine Schwangerschaft abzubrechen. Hebammen, weise Frauen, Ärztinnen und Kräuterkundige standen ausnahmslos im Verdacht, Abtreibungen durchzuführen. Wenn man ihnen auf die Schliche kam, wurden sie als Hexen gebrandmarkt und gesteinigt.
»Es tut mir unendlich leid«, sagte Primo zu Ulrika.
»Du hattest deine Gründe«, hörte sie sich sagen, obwohl sie vor Angst wie betäubt war. Sollte ihr Leben auf diese Weise enden? Noch nicht einmal dreißig Jahre alt, im Circus Maximus an einen Pfahl gefesselt, Gladiatoren ausgeliefert, die Steine auf sie schleuderten, so lange, bis sie tot war?
»Meister, wir müssen ein Schiff nach Alexandria nehmen«, drängte Primo, »und an einen Ort fliehen, der außerhalb der Macht des Kaisers liegt. Ich werde euch alle beschützen, bei meinem Soldateneid.«
Sebastianus schüttelte den Kopf. »Ich für meinen Teil muss nach Rom, um meinen Namen und den meiner Familie reinzuwaschen. Somit wirst du es übernehmen, die Frauen nach Alexandria zu bringen.«
Ulrika fasste nach seiner Hand. »Es kommt nicht in Frage, dass du allein vor Nero trittst, Liebster. Außerdem muss auch ich meinen Namen reinwaschen. Nicht nur um meinetwillen, sondern auch wegen meiner Mutter, wo immer sie sich aufhält. Sie ist eine Heilkundige und erfreut sich einer makellosen Reputation. Sollte ihre Tochter wegen Hexerei verurteilt und hingerichtet werden, könnte das schreckliche Folgen für sie haben.«
»Und ich habe mich lange genug versteckt«, meldete sich jetzt Rachel zu Wort. »Es wird Zeit, dass ich mich zu meinen Glaubensgenossen begebe. Ich möchte mich der Gemeinde um Simon Petrus anschließen.«
»Dann rette du dich, alter Freund«, sagte Sebastianus, an Primo gewandt. »Immerhin hast du jetzt ebenfalls Verrat begangen und den Eid gebrochen, den du Cäsar geschworen hast.« Aber während er noch sprach, war er sich bereits sicher, dass Primo mit ihnen nach Rom zurückkehren würde.
Als die ersten Sonnenstrahlen über die fernen Klippen im Osten spitzten und es ein warmer Tag zu werden versprach, sann jeder der vier am Lagerfeuer darüber nach, welches Schicksal sie in Rom erwarten mochte.
Neuntes Buch Rom
64 n.Chr.
40
»Das war zu erwarten«, sagte Sebastianus leise, als er den Blick über den weitläufigen Sammelplatz schweifen ließ. Zwanzig Legionäre umringten seinen Handelszug – eine Kohorte Elitesoldaten in glänzendem Brustharnisch, die Helme mit roten Buschen geschmückt. Sie bewachten nicht nur seine Zelte, seine Kamele und die aus China mitgebrachten Waren, sondern hielten, wie er vermutete, Ausschau nach dem Karawanenführer, um ihn in Ketten zu legen und vor den Kaiser zu zerren.
Er verzog sich wieder hinter das Zelt des Hufschmieds, aus dem metallische Schläge die Morgenluft durchdrangen. »Wie es aussieht, hat der Kaiser auch die Karawane beschlagnahmt.«
Unmittelbar nach ihrer Rückkehr hatten sie
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