Die Schicksalsgabe
andere Hand.
»Nicht dass ich vorhabe, dich zu bestechen«, sagte Sebastianus, »ich werde Cäsar lediglich wissen lassen, dass die Nachlässigkeit und die Gier eines Türstehers mit einem himbeerfarbenen Mal am Hals dazu geführt hat, dass einem der ältesten und engsten Freunde Cäsars verwehrt wurde, ihm ein außergewöhnliches Geschenk zu überbringen.«
Der Zerberus bedachte Sebastianus mit einem Blick, der besagte, dass er es schon mit vielen arroganten und unverschämten Besuchern zu tun gehabt hatte.
»Und jetzt wirst du uns persönlich hineinbegleiten«, fügte Sebastianus hinzu.
Der Türsteher hob bass erstaunt die Brauen. Er lutschte noch einmal an seinen Zähnen, ehe er das ungewöhnlichen Trio mit der Bemerkung beschied: »Ich werde wohl stattdessen einen von der Wache rufen. Ich kann bei dir kein Geschenk für Cäsar entdecken, schon gar nicht eins, das wertvoller sein könnte als eines von denen da.« Er deutete auf dreißig mit Elefantenzähnen beladene afrikanische Sklaven.
»Offenbar stehst du mit unserem Kaiser auf derart vertrautem Fuße, dass du beurteilen kannst, was er am meisten zu schätzen weiß.«
Ganz ruhig hatte Sebastianus dies vorgebracht und dabei den Türsteher unverwandt angesehen. Der Dickwanst hielt seinem Blick kurz stand, dann wandte er sich ab, räusperte sich und sagte schließlich: »Hier entlang.«
Durch eine kleinere Tür gelangten sie in den Audienzsaal, den sie vor zehn Jahren schon einmal betreten hatten. Farbenfrohes Gedränge auch hier. Anhand der eleganten Gewänder und Togen sowie der kunstvoll aufgebauschten Frisuren, mit denen die Damen um die Höhe und Anzahl von Locken zu wetteifern schienen, war zu erkennen, dass Neros Gäste vornehmlich den Patriziern angehörten. Unterhaltungen stockten kurz, wenn ein fremder Gast hinzukam, und immer wieder schielte man auf die Geschenke, die zu Füßen Neros abgelegt wurden. Junge Sklaven in blassblauen und silbernen Tuniken schlängelten sich mit Tabletts, die mit gefüllten Weinbechern oder schmackhaften Bissen wie gebratenen Sperlingen und in Honig getauchten Feigen beladen waren, durch die Menge.
Zehn Jahre war es her, dass Ulrika in diesem Saal gestanden und die gleiche Vision gehabt hatte wie damals mit zwölf auf dem Land – die von einer verschreckten Frau, die, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen, die Arme und Hände mit Blut beschmiert, weggelaufen war. Ulrika hatte damals nicht gewusst, warum ihr diese Vision ausgerechnet in diesem Audienzsaal gekommen war, und sie wusste es noch immer nicht. Sollte sie sich abermals wiederholen, würde sie sie diesmal zu steuern wissen und ihre Bedeutung verstehen.
Derart dicht an dicht standen die Gäste, dass das Trio im Gänsemarsch dem Türsteher folgen musste. Sebastianus beschloss den kleinen Zug, wehrte Ellbogenstöße ab und nachdrängende Neugierige. Ulrika versuchte, einen Blick auf den Kaiser am entgegengesetzten Ende des kuppelförmigen Saals zu erhaschen, was über so viele Köpfe hinweg schlicht unmöglich war.
Eine der Anwesenden jedoch weckte ihre Aufmerksamkeit.
Die Vestalinnen waren jungfräuliche Priesterinnen der Vesta, der Göttin des Herdes und Roms Patronin und Beschützerin. Sie waren von der üblichen gesellschaftlichen Verpflichtung befreit, zu heiraten und Kinder aufzuziehen. Um sich ganz ihrer Aufgabe als Hüterinnen des Herdfeuers der Vesta zu widmen, auf dass es niemals verlösche, legten sie ein Keuschheitsgelübde ab. Die Oberste Vestalin, die Ulrikas Blick auf sich gezogen hatte, saß auf einem von Dienerinnen umstandenen Thron und trug ein prächtiges Gewand aus mehreren Stoffschichten in den Farbtönen Blau, Aquamarin und Peridotgrün. Als mächtigste Priesterin Roms nahm sie an allen bedeutenden Veranstaltungen teil, auch an Wagenrennen. Zu wichtigen Besprechungen ließ sie sich in ihrer eigenen Sänfte bringen.
Unter ihrer hohen und dementsprechend schweren Krone, die mit einem schulterlangen hellgrünen Schleier bedeckt war, verfolgte ein ausdrucksloses Gesicht das Geschehen im Saal; auch zwei kaiserlichen Bediensteten, die sich über das Protokoll uneinig zu sein schienen, schenkte sie keine Beachtung.
Aus den Gesten des Höhergestellten der beiden Bediensteten – er war groß und hager und trug ein merkwürdiges Gewand mit Ärmeln sowie einen Faltenrock – schloss Ulrika, dass sie und ihre Freunde noch zu warten hatten. »Meister«, raunte auch Timonides, »das kann ja
Tage
dauern, bis wir drankommen.«
Zumindest
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