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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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hatte, dass dem Vogel keinerlei Makel anhaftete, nahm sie gegen eine Kupfermünze den kleinen Käfig entgegen – und erblickte neben dem Verkäufer einen jungen Mann, der eben noch nicht dort gestanden hatte, sich aber gleich darauf wieder in Luft auflöste.
    Die Vision stimmte sie ärgerlich. Auf der Rückreise nach Rom hatte sie mehrere solcher Erscheinungen gehabt, die alle wie zufällig auftauchten und keinerlei Hinweis auf irgendetwas gaben. Vielleicht, so hoffte sie, als sie zum Haupteingang oben an der Marmortreppe gelangten, vielleicht wird mir die mitleidsvolle Minerva den Weg weisen.
    Das dämmrige Innere des Tempels bestand aus einem großen Altarraum – eine runde, mit weißen Säulen umstandene Halle und spiegelndem Marmorboden; von der Decke hingen Lampen, und am hinteren Ende thronte überlebensgroß die Göttin selbst. Priester entzündeten unter Absingen von Chorälen Weihrauch, derweil Besucher ihre Opfergaben – Tauben und Lämmer – darbrachten.
    Ulrika blieb erst einmal am Eingang stehen, um sich zu sammeln und ihr Herz für jegliche Botschaft der Göttin zu öffnen. Auch ihre Begleiter hielten inne, ließen ihre Blicke über die herrlichen Marmorwände und in die Kuppel über ihnen schweifen. Die Göttin der Poesie und Musik, der Heilkunst, des Handwerks und des Gewerbes, vor allem aber die Göttin der Weisheit, so die einhellige Meinung, schien in der Tat ungemein einflussreich zu sein.
    Ein korpulenter Priester in weißer Robe, von öligen Düften und Weihrauch umweht, näherte sich. »Wie kann die Göttin euch helfen, ehrenwerte Besucher?«
    Seine Stimme klang weich, seine Augen lächelten freundlich. »Ich suche Rat für ein persönliches Problem«, sagte Ulrika und reichte ihm den Käfig mit der Taube.
    »Da bist du hier am richtigen Ort, liebes Kind, denn Minerva ist die Göttin der Nähe. Sie ist dir jetzt nahe, wird deiner Bitte Gehör schenken. Kommt mit mir.«
    Als er kehrtmachte, klirrte ein Schlüsselbund an seinem Gürtel, und Ulrika fragte sich, ob sich gleich die Prophezeiung der ägyptischen Seherin bewahrheiten würde.
    Aber der Priester bot ihr weder einen Schlüssel an noch schloss er eine Tür auf, sondern führte Ulrika und ihre Begleiter zu einer abseits gelegenen Nische, in der über einem Altar Minerva als Mosaikbild zu sehen war. Ulrika staunte, als der Priester den Käfig öffnete und die Taube in die Freiheit entließ, anstatt sie, wie sie erwartet hatte, zu schlachten, wie dies der Großteil der Götter forderte. Sie beobachtete, wie der kleine weiße Vogel herumflatterte und Kreise beschrieb, ehe er aus dem Tempel flog, der Sonne entgegen.
    »Das ist ein gutes Zeichen«, meinte der Priester lächelnd. »Tauben sind die Boten der Götter. Minerva hat deine Bitte gehört.«
    »Wie werde ich ihre Antwort erfahren?«
    Der Priester schritt zum Altar, auf dem nebeneinander Schriftrollen aufgereiht waren, jede mit einem farblich unterschiedlichen Band umwickelt. »Wähle eine aus«, sagte er.
    Sie deutete auf die mit einem blauen Band verschnürte Schriftrolle.
    Er öffnete sie und las leise vor: »Deine Lungen atmen hastig. Als ob sie ein Wagenrennen bestritten.« Dann rollte er zu Ulrikas Überraschung das Pergament wieder zusammen, schlang das Band herum und legte die Schriftrolle auf den Altar zurück.
    »Das ist alles?«, fragte sie.
    »Die Göttin hat deine Bitte erhört und deine Hand geführt. Dies ist ihre Antwort.«
    »Aber was bedeutet sie?«
    »Die Götter sprechen in der ihnen eigenen Sprache zu uns. Gelegentlich ist das, was sie uns sagen, schwer zu deuten und nicht auf Anhieb zu verstehen.« Eine Verbeugung andeutend, sagte er: »Der Segen Minervas sei mit euch«, und entschwand.
    Schweigend stiegen sie die Stufen wieder hinunter und betraten erneut den quirligen Marktplatz. Ihre Begleiter dachten an das bevorstehende Mittagessen, Ulrika selbst an die rätselhafte Botschaft der Göttin. Nestor hatte sein Augenmerk auf eine mit runden, glänzenden Objekten gefüllte Schale gerichtet, die er mitnehmen wollte.
    Ulrika sah weder den blinden Bettler, der im Schatten von Minervas Tempel kauerte, noch bekam sie mit, dass Nestor sich plötzlich bückte und eine Handvoll Münzen griff, die großzügige Bürger in die Schale des Bettlers geworfen hatten.
    Alles vollzog sich blitzschnell: Der Bettler sprang auf, brüllte: »Wie kannst du es wagen, einen Krüppel zu bestehlen! Noch dazu einen blinden!« Und schon schwang er seinen Stock, der ihn davor bewahrte,

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