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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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danken, dass man selbst und die eigenen Kinder von derlei Anomalie verschont geblieben war.
    Dennoch war es keine unangenehme Aufgabe, auf Nestor aufzupassen. Nie verhielt er sich aufmüpfig, nie ungehorsam. Immer war er verträglich und schien nur zwei Gefühlsregungen zu kennen: glücklich oder traurig zu sein, wobei Ersteres bei weitem überwog.
    Über seine erstaunliche Begabung konnte sich Ulrika nicht genug wundern. Eine Kostprobe einer neuen Sauce oder einer unbekannten Suppe, und Nestor kehrte ins Lager zurück und bereitete beides bis zum letzten Salzkörnchen übereinstimmend zu.
    »Geschafft«, sagte sie zu ihren Begleitern – zwei Dienerinnen und einem männlichen Beschützer –, als sie den Tempel der Minerva erreichten.
    Nachdem sie die Festung Bonna verlassen hatten, war die Gallus-Karawane nach Colonia gezogen, wo Sebastianus mit dort ansässigen Kaufleuten Handel getrieben und mitgeführte Waren aus Ägypten und Spanien gegen germanische Produkte eingetauscht hatte, die zur Zeit in Rom gefragt waren – Met, Silber und Bernsteinschmuck, Tierhäute und Pelze. Diejenigen, die sich in Rom und unterwegs dem Handelszug angeschlossen hatten, hatten sich verabschiedet; diejenigen, die auf der Rückreise nach Süden im Tross mitgenommen werden wollten, hatten sich Plätze gesichert.
    Sebastianus hatte den Aufenthalt in Colonia auf ein Minimum beschränkt und war seitdem zügig unterwegs gewesen, da er und Ulrika so schnell wie möglich wieder Rom erreichen wollten. Im Augenblick lagerte die Karawane vor Pisa, hundertsechzig Meilen nördlich von ihrem Ziel entfernt. Hier wollte Sebastianus nur so lange bleiben, bis er Waren und Passagiere aus- und neue Reisende und Vorräte eingeladen hatte. Für Ulrika bot sich dadurch die Gelegenheit, einen nahen Tempel aufzusuchen, dem Vernehmen nach die Stätte einer mächtigen Göttin.
    Hier, wo Minerva verehrt wurde, hoffte sie, Beistand zu finden. Die alte Frau im Rheinland hatte von Disziplin gesprochen, die sie sich aneignen müsse. Wie aber war das ohne Hilfe zu bewerkstelligen?
    Die Aussicht, etwas über ihre wahre Bestimmung zu erfahren und endlich zu wissen, wohin sie gehörte, erfüllte Ulrika mit freudiger Erregung. Auch wenn die Suche nach dem ihr bestimmten Weg bedeutete, dass sie und Sebastianus sich trennen mussten.
    Je näher sie Rom kamen, umso häufiger studierte er Karten des fernen und geheimnisumwobenen Osten. Wo genau lag China? Seine Ungeduld, dorthin aufzubrechen, wuchs mit jedem Tag. Nicht zuletzt weil er in Erfahrung gebracht hatte, dass zwei seiner Mitbewerber um das Diplom inzwischen in diesem Wettstreit die Nase vorn hatten. Adon der Phönizier war nur noch eine Seereise von Rom entfernt und hatte ein seltenes Tier, einen sogenannten Greifen, für den Kaiser im Gepäck; Gaspar der Perser befand sich auf dem Rückweg aus dem Zagros-Gebirge, mit Zwillingsmädchen, die von Geburt an an der Hüfte zusammengewachsen waren und sich, wie es hieß, darauf verstanden, mehrere Männer gleichzeitig zu befriedigen. Wahrlich verlockende Geschenke für Claudius. Dennoch hatte Sebastianus Ulrika versichert, dass
sein
Geschenk dem Kaiser noch mehr zusagen würde.
    Beim Gedanken an Sebastianus schlug Ulrikas Herz rascher. Sie wusste, dass sie drauf und dran war, sich in diesen gut aussehenden Mann zu verlieben, der wie ein Sagenheld aus dem Wald gestürmt war und mit seinem Schwert die Angreifer, die sie bedrohten, in die Flucht geschlagen hatte. Dieses Bild, das sich ihr ins Gedächtnis eingebrannt hatte, war so plastisch, dass es ihr vorkam, als setzte er sich in diesem Augenblick gegen die Feinde zur Wehr, als schwirrte sein Schwert weiterhin durch die Luft, als beschützte er sie auch jetzt.
    Aber sie wusste, dass es ihr nicht zustand, eine Liebesbeziehung überhaupt in Erwägung zu ziehen. Sebastianus war es bestimmt, ans Ende der Welt zu ziehen, und sie selbst musste ihrem eigenen Weg folgen. Es war sinnlos, an ihn zu denken.
    Während sie mit Nestor und ihren Begleitern die Tempelstufen erklomm, dachte sie an die vielen Schreine und heiligen Orte, die sie seit dem Aufbruch in Colonia besucht hatte, um Weihrauch zu entzünden, Opfergaben darzubringen und jeden Gott zu bitten, sie zu erleuchten. Wenn ihr ihre Gabe von den Göttern verliehen worden war, sagte sie sich, dann kam es ihnen auch zu, ihr zu offenbaren, was sie als Nächstes zu tun hatte.
    Auf den Tempelstufen erstand sie eine kleine weiße Taube. Nachdem ihr der Verkäufer versichert

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