Die Schicksalsgabe
Selene und den Freunden nichts zugestoßen war; Sebastianus hingegen musste sich überzeugen, wie es um seine Villa in Rom und die Dienerschaft stand.
Was ihn jedoch vorrangig beschäftigte, war, wie es sich mit dem Diplom für China verhielt. Würde sich der neue Kaiser überhaupt dafür interessieren?
Unterwegs hatte Sebastianus das eine oder andere über Claudius’ Nachfolger in Erfahrung bringen können: Es handelte sich um einen sechzehnjährigen jungen Mann namens Domitius Ahenobarbus, der sich, wie es hieß, mit seiner Ernennung zum Kaiser den pompösen Namen Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus zugelegt habe. Und dass der junge Nero den Anbruch einer neuen Ära für Rom verkündet habe und bestrebt sei, diplomatische Beziehungen und Handel auszuweiten. Ein Hoffnungsschimmer für Sebastianus, sofern ihm nicht seine mehr als lockere Verbindung zu Claudius (er war mit dem verstorbenen Kaiser nur ein einziges Mal – und das nur ganz kurz – zusammengetroffen) zum Stolperstein wurde. Was ihm unbedingt gelingen musste, war, Zugang zum Kaiser zu bekommen, der zweifellos von einer Armee Leibwächter, Ratgeber und Tutoren umgeben war, ganz zu schweigen von seiner Mutter, der mächtigen Agrippina und Witwe von Claudius. Es galt, dem ehrgeizigen jungen Mann vorzutragen, was er, Sebastianus, vorhatte – eine neue Handelsroute nach China einzurichten, auf dem Weg dorthin mit ausländischen Nationen diplomatische Beziehungen aufzunehmen und dadurch das Römische Reich noch weiter auszudehnen, als es Nero vorschwebte.
Wie aber sollte er nahe genug an Nero herankommen, um ihm all das darzulegen?
Timonides, der auf einem Esel neben Sebastianus dahintrottete, plagten ebenfalls Sorgen. Er dachte an das Unheil, das sich in der Festung Bonna in den Sternen seines Herrn abgezeichnet hatte und weiterhin die täglichen Sterndeutungen überschattete. Stand das namenlose Unheil in Rom bevor? Und war er, Timonides, der einstmals durch und durch ehrliche Astrologe, wegen seiner verfälschten Horoskope der Verursacher dafür? Was, wenn der neue Kaiser Sebastianus hinrichten ließ? Was sollte dann aus Timonides und Nestor werden? Sie hatten kein Geld, Timonides war alt und Nestor von schlichtem Gemüt. Das Blut gefror ihm bei dem Gedanken, Vater und Sohn könnten als Bettler auf der Straße landen.
Alles ist meine Schuld!, lamentierte er stumm vor sich hin, voller Verachtung für die Menge, in die sie jetzt eintauchten, voller Hass auf die Stadtmauern, wütend darüber, dass Kaiser Claudius ermordet worden war, wütend auf sich selbst, Sebastianus dazu gebracht zu haben, Ulrika mitzunehmen. Bei den Göttern!, flehte Timonides der Astrologe. Ich schwöre bei allem, was heilig ist, auch bei der Seele meiner geliebten Damaris, dass ich nie wieder ein Horoskop verfälschen oder im Namen der Sterne Lasterhaftes äußern werde! Bitte helft mir und meinem Sohn nur durch diese dunkle Stunde, und ich werde den Göttern und dem Himmel ehrenvoll und mit größtem Respekt dienen und nie wieder lügen, solange ich lebe!
Am großen Sammelplatz, der Endstation ihrer Reise, angelangt, machten sich Sebastianus und Ulrika, Timonides und Nestor sowie ein paar Sklaven und Bewacher zu Fuß in die Stadt auf. Wegen seiner beeindruckenden Passierscheine und dem Dokument, das ihn als Kaufmann und Händler auswies, wurde Sebastianus durch das kleinere Tor für Fußgänger gewinkt, während die anderen aus seiner Gruppe erst einmal eingehend überprüft und befragt und ihre Reisebündel durchsucht wurden. Dann ließ man sie ein, unter der Ermahnung, unverzüglich nach Hause und nirgendwo anders hinzugehen, da während des Ausnahmezustands die Sperrstunde unbedingt einzuhalten sei.
Zu ihrer Überraschung waren in der Stadt weder Chaos noch ein Aufstand der Bürger zu bemerken, vielmehr herrschte um diese Zeit, da der Tag sich neigte und die abendliche Sperrstunde durch Trompetenstöße verkündet worden waren, eine geradezu unheimliche Ruhe. Mit den ersten Sternen, die sich am Himmel zeigten, erreichten sie den Esquilin, und als sie die gepflasterte Straße bergan schritten, an Residenzen vorbei, die sich hinter hohe Mauern duckten, war die Stille an diesem milden Abend noch größer als gewöhnlich. Umso erleichterter fühlte sich Ulrika, als sie vor sich auf der linken Seite Tante Paulinas Haus mit Fackeln und Lampen erhellt sah und lautes Lachen und Musik zum dämmrigen Himmel stieg. Sie warf einen Blick zu dem hinter der Villa gelegenen Haus,
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