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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Masten gesichtet wurde – für Seefahrer ein böses Omen. Aber nach einer Woche solcher Verzögerungen hatte die
Poseidon
schließlich doch Segel gesetzt und war zehn Tage später in Antiochia gelandet.
    Inzwischen war ein Monat vergangen, die Wintersonnenwende unlängst gefeiert worden. Ein grauer Himmel lastete über der Stadt; es hatte den ganzen Tag geregnet. Trotzdem waren sie nicht untätig geblieben. Primo, der bei der römischen Garnison vor Ort untergekommen war, hatte Männer rekrutiert und für seine Spezialeinheit ausgebildet, hatte sie als Vorbereitung auf die kommende Reise einem Drill unterzogen, bewaffnet und sie vor allem in den geheimen Strategien und Taktiken unterrichtet, die zur Anwendung kommen sollten. Sebastianus hatte derweil seinen riesigen Tross zusammengestellt, Kamele und Sklaven gekauft, sich mit Kaufleuten getroffen, Waren übernommen, mit Geldverleihern verhandelt – eben alles Geschäftliche geregelt. Timonides, wie hätte es auch anders sein können, hatte Tag für Tag emsig die Sterne studiert, ihre Winkelstände, Häuser, Auf- und Abwärtsbewegungen, mit besonderem Augenmerk auf den Mond und die Konstellationen der Planeten. Die Mission nach China durfte nicht scheitern! Schon weil es hieß, Nero sei launisch und nehme höchst ungern Enttäuschungen hin.
    Donnergrollen ließ das jahrhundertealte Gasthaus erbeben. Timonides warf durch die Stube einen Blick auf Ulrika, die weiterhin die Tür im Auge behielt.
    Wie geschickt sie ihre medizinische Ausrüstung einzusetzen verstand, befand er, und dachte daran, wie er auf der Schiffsreise so seekrank geworden war, dass er nichts mehr hatte essen können. Wieder war ihm Ulrika zu Hilfe gekommen, hatte ihm ein Tonikum aus einer seltenen und kostbaren Wurzel, Ingwer genannt, verabreicht. Es hatte gewirkt, Timonides’ Appetit war zurückgekehrt, und jetzt war er ihr doppelt verpflichtet.
    In Ostia, wo sie auf das Kommando zum Auslaufen gewartet hatten, hatte sich Ulrika erboten, Nestor ein wenig unter ihre Fittiche zu nehmen. Der Junge hatte nie richtig sprechen gelernt, äußerte sich lediglich in gestammelten Silben, die zwar Timonides zu deuten wusste, für alle anderen jedoch unverständlich blieben. Ulrika vermutete bei Nestor so etwas wie eine »festgewachsene Zunge«. Ihre eigene Mutter, hatte sie gesagt, sei mit einer festgewachsenen Zunge zur Welt gekommen, die dann, als sie sieben war, durch einen kleinen Eingriff gelöst worden sei. Sie hatte Timonides geraten, mit seinem Sohn einen Arzt aufzusuchen, der mit dem Skalpell umzugehen verstand. Timonides war drauf und dran gewesen, ihren Rat zu befolgen, hatte sich dann aber überlegt: Möchte ich eigentlich, dass Nestor richtig sprechen kann? Machten sich die Menschen nicht schon so zur Genüge über ihn lustig? Und was wäre, wenn er sprechen könnte, dafür aber seiner begnadeten Kochkunst verlustig ginge? Dergleichen kam bekanntlich vor, freudige Ereignisse zogen unliebsame Konsequenzen nach sich, als Gegenleistung sozusagen. Man wusste ja, was für willkürliche Spaßvögel die Götter waren!
    Nein, es war das Beste, alles so zu belassen, wie es war. Schon weil Wichtigeres seine Aufmerksamkeit erforderte, allem voran die Katastrophe, die sich weiterhin für seinen Herrn abzeichnete. Als sich Timonides vor Monaten in der Festung Bonna zum ersten Mal damit konfrontiert sah, dass Sebastianus möglicherweise ein Unheil drohte, war er erschrocken. Durch die ständige Beobachtung der Sterne und der Aufzeichnungen ihres Verlaufs hatte er jedoch festgestellt, dass das unheilvolle Omen weiterhin in der Zukunft lag, so als verlagerte es sich in gleichbleibendem Abstand zu Sebastianus. Deshalb verebbte Timonides’ Panik allmählich.
    Dennoch gab es keinen Zweifel daran, dass seinem Herrn etwas Schreckliches bevorstand, sich wie eine dunkle Wolke am Horizont abzeichnete, aber immer auf Abstand blieb, egal wie schnell man sich ihr näherte. Wo oder wann es zur Katastrophe kommen würde, war nicht abzusehen. Timonides musste sich jedenfalls nicht vorwerfen, dass durch seine verfälschten Horoskope irgendein Unheil über dem Haupt seines Meisters schwebte. Seit dem Aufbruch in Rom hatte er kein einziges Mal gelogen, hatte sich an seine ehrenvollen Prinzipien gehalten, hatte den Göttern und der Astrologie höchste Wertschätzung gezollt, war moralisch und körperlich rein geblieben und erachtete sich in dieser regnerischen Nacht als geistig makellos und unbefleckt.
    Welches Verhängnis

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