Die Schicksalsgabe
auch immer drohte und wann immer es über sie hereinbrechen würde, Timonides der Astrologe war sich gewiss, dass man ihn nicht verantwortlich dafür machen konnte.
Gegen den Regen geduckt eilte Sebastianus in Vorfreude auf ein warmes Feuer und würzigen Wein die schmale Straße entlang. Er dachte an die erstaunliche Kette von glücklichen Fügungen, die ihn hierhergeführt hatten. Morgen würden sie nach Babylon aufbrechen! Und nach Babylon …
Wie viel von diesem Glück verdankte er Ulrika!
Er wäre heute Nacht nicht hier, stünde nicht kurz davor, zum größten Abenteuer seines Lebens aufzubrechen, hätte er nicht durch Ulrikas Hinweis auf Vatinius’ geheime Kampfstrategie das Kaiserliche Diplom erhalten. Nun hoffte Rom, er werde mit seiner Karawane die sichere Passage für Kaiserliche Botschafter und Waren für den Fernen Osten und damit die Ausdehnung des Reiches gewährleisten.
Sebastianus war sich seines Erfolgs gewiss. Primo hatte seine handverlesene Einheit, eine kleine Kampfgruppe aus Söldnern, loyalen Veteranen, ehemaligen Gladiatoren und Bogenschützen, unermüdlich gedrillt. Eine Streitmacht, die einen das Fürchten lehrte.
Viel hatte er Ulrika zu verdanken – und jetzt hatte er ein Geschenk für sie!
Sebastianus näherte sich der Taverne, deren Schild im Wind hin und her schwang. Man hätte sowieso nicht lesen können, was darauf stand, denn der Regen hatte die Lampe gelöscht. Aber das Gasthaus zum blauen Pfau stand seit Generationen hier, ein warmer Leuchtturm im Winter, ein kühler Hafen im Sommer, ein Ort, wo dem erschöpften Wanderer Speis und Trank angeboten wurde, ein Treffpunkt für diejenigen, die in der Straße des grünen Zauberers wohnten. Und für Sebastianus und seine drei Gefährten vorübergehend ein Zuhause.
Ulrika schlief in dem Zimmer neben seinem, auf dem Stockwerk über der Taverne, Timonides und Nestor teilten sich ein weiteres. Doch Sebastianus schlief unruhig. Oft warf er sich von einer Seite auf die andere, wachte immer wieder auf, stieß trotz der winterlichen Kälte seine Decke von sich. Ulrika geisterte durch seine Träume. Das war ihm bisher bei keiner Frau so passiert. Oft genug auf seinen Reisen hatten ihm Frauen zu verstehen gegeben, dass sie ihn attraktiv fanden, aber diese flüchtigen Affären boten ihm keinen Reiz mehr. Seit er sich ganz auf seine Arbeit als Händler konzentrierte, war er möglichen Beziehungen aus dem Weg gegangen und damit zufrieden gewesen. Seit jedoch Ulrika in seinem Tross mitreiste, fand er keine Ruhe. Ein paarmal war er drauf und dran gewesen, ihr zu gestehen, wie sehr er sie begehrte. Da sie aber weiterhin unter seinem Schutz in seiner Eigenschaft als Karawanenführer stand, galt für ihn ein Ehrenkodex, gegen den er keinesfalls verstoßen würde.
Was sie wohl für ihn empfand?, fragte er sich, als er sich gegen die regennasse Tür stemmte. Gelegentlich ertappte er sie dabei, dass sie ihn versonnen ansah. Aber er spürte auch ihren starken Willen, Distanz zu wahren und unabhängig zu bleiben.
Er betrat die Taverne und tat triumphierend kund, dass er Bessas gefunden und dem alten Eremiten einen Vorschlag unterbreitet habe, den er nicht habe zurückweisen können!
Timonides erhob sich ächzend. Die anderen Gäste waren bereits gegangen, der Gastwirt hatte sich in seinen Privatbereich verzogen, auch Nestor war längst zu Bett gegangen. Nur der Astrologe und Ulrika waren noch da. »Hat er dir den Weg nach Shalamandar beschrieben?«, fragte Timonides.
Ulrika führte Sebastianus ans Feuer, nahm ihm den durchweichten Umhang von den Schultern. Dann drückte sie ihm einen mit warmem Wein gefüllten Becher in die kalten Hände.
Stumm ließ Sebastianus es geschehen. Er konnte nicht anders als sich erst einmal am Anblick dieser jungen Frau mit dem hellbraunen Haar zu erfreuen, deren Gestalt sich gegen das erlöschende Feuer abzeichnete. Ich wünschte, dachte er, ich könnte dir so viel mehr geben. Ich wünschte, ich könnte deine Mutter finden oder die dir von den Göttern verliehene Gabe erklären. Ich wünschte, ich könnte dich mitnehmen auf meine Reise nach China. Ich wünschte, ich dürfte dich in die Arme schließen und nie mehr loslassen.
Stattdessen nahm er einen Schluck Wein und sagte: »Bessas kennt tatsächlich Shalamandar und die Kristallenen Teiche. Und er will uns sogar den Weg dorthin zeigen.«
»Und du glaubst ihm?«, rief Timonides. »Er wird nicht einfach dein Geld nehmen und verschwinden?«
Sebastianus
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