Die Schicksalsgabe
schmunzelte. »Bessas wird als heiliger Mann erachtet. Die Menschen um Daphne herum verehren ihn, bringen ihm Essen und Opfergaben und preisen seinen Namen. Sie sagen, er habe ihnen Glück gebracht. Außerdem verlangt er kein Geld.«
»Dennoch hat er dir verraten, wie man nach Shalamandar kommt.« Timonides war verärgert. Seit Wochen beobachtete er diese aufkeimende Verliebtheit zwischen Sebastianus und Ulrika, und da sie seiner Meinung nach zu nichts führte, wünschte er, sein Meister würde endlich wieder Vernunft annehmen!
»Er will uns den Weg zeigen«, entgegnete Sebastianus dem Astrologen. »Ich habe Bessas etwas angeboten, woran keiner gedacht hat und wonach sich alle sehnen, die sich in fremden Landen aufhalten: eine sichere Fahrt nach Hause. Wir brechen morgen in aller Frühe nach Babylon auf!«
Heftige Bauchschmerzen ließen Timonides wach werden. Leise stöhnend wälzte er sich aus dem Bett und schleppte sich barfuß zu seinem Reisebündel. Warum um alles in der Welt hatte er sich auch dreimal Nachschlag von dem Lauchgemüse geben lassen? Die Frau des Gastwirts hatte es in viel zu viel Öl gedünstet, und jetzt bekam er die Quittung dafür.
Ein Dielenbrett auf dem Holzfußboden knarzte. Timonides hielt inne, warf einen Blick hinüber auf das andere Bett, einen Strohsack mit Wolldecken darüber. Er wollte Nestor nicht aufwecken; der Junge hatte gelegentlich Mühe, wieder einzuschlafen.
Timonides spähte durch die Dunkelheit. Es hatte aufgehört zu regnen, die Sterne waren herausgekommen. Durch die Ritzen der Fensterläden drang genug Licht, um zu erkennen, dass Nestors Bett leer war. Wo steckte der Junge?
Bestimmt war er hinausgegangen, um sich zu erleichtern. Timonides tappte wieder weiter, auf der Suche nach einem Magenpulver, das er stets in seinem Gepäck hatte. Eine Prise davon mit einem Schluck Wasser, und sein Magen würde sich beruhigen.
Als er hörte, wie sich die Tür öffnete, murmelte er: »Leg dich wieder hin, Sohn, mach dir keine Sorgen um mich«, weil er wusste, wie Nestor beim Anblick des herumgeisternden Vaters reagieren würde.
Aber anstatt sein schwer verständliches »Ja, Papa, gute Nacht« zu brabbeln, blieb Nestor an der offenen Tür stehen. Mit der rechten Hand umspannte er einen Sack. Er grinste triumphierend.
»Was hast du denn da?«, fragte Timonides erstaunt.
Nestors infantiles Grinsen vertiefte sich, als er den Sack anhob. »Rika«, sagte er verklärt.
Das Lauchgemüse, die Frau des Gastwirts, Winternächte und das Leben überhaupt verwünschend, schlurfte Timonides auf ihn zu. »Ein Geschenk für Ulrika? Um diese Stunde?«
Er griff nach dem Sack. Was hatte sich der Junge denn da wieder ausgedacht? Mal waren es Blumen, die er Ulrika schenkte, mal bunte Kieselsteine, diesmal schien es sich dem Gewicht und der Form nach um eine Melone zu handeln.
In der Hoffnung, dass Nestor sie nicht gestohlen hatte und Timonides morgen früh nicht den Besitzer ausfindig machen und die Zusammenhänge erklären musste, öffnete er den Sack und schaute hinein, rümpfte die Nase, wartete, bis sich seine Augen an das diffuse Licht gewöhnt hatten. »Was …«, fing er an. Kniff dann die Augen zusammen. Hob den Sack an, um den Inhalt besser zu erkennen. »Ich kann nichts …«
Und dann –
schrie er laut auf.
Er ließ den Sack fallen, stolperte rückwärts und fiel ungeschickt hin. »Nestor!«, stieß er aus. »Nestor! Was hast du getan!«
Nestors Geschenk erwies sich als der Kopf von Bessas, des heiligen Mannes, den ganz Antiochia verehrte.
14
Es dauerte eine Weile, bis der entgeisterte Timonides wieder aufgestanden war. So schnell er konnte, eilte er auf das kleine Fenster zu, stieß die Fensterläden auf und streckte seinen Kopf gerade noch rechtzeitig ins Freie, um auf die Straße unter ihm zu kotzen. Die kalte Nachtluft tat ihm, der in kalten Schweiß ausgebrochen war, gut.
Der Kopf von Bessas …
Beim Jupiter, was war bloß in Nestor gefahren?
In seinem Kopf drehte sich alles, er schloss die Augen, versuchte nachzudenken. Während ihm der Schweiß übers Gesicht rann und seine Nase tropfte und ihn eine Welle der Übelkeit nach der anderen überkam, erinnerte er sich, dass er am frühen Abend in der Gaststube gesagt hatte: »Mein Meister sollte dem Kerl einfach den Schädel abreißen und dann die Information aus ihm rauskratzen!«
Und nun stand Nestor vor ihm mit seiner Neigung, Bemerkungen wortwörtlich zu nehmen und anderen gern eine Freude zu bereiten. Vor allem
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