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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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tapfere Männer zu berichten«, sagte Rachel mit ihrer dunklen, honigwarmen Stimme. »Zum Beispiel von David, der einen Riesen tötete, oder von Saul, einem Bauern, der König wurde, oder von Gideon, der mit einer Handvoll Männern das Volk der Midianiter besiegte. Da wäre Moses zu nennen, der die Israeliten dazu brachte, aus Ägypten wegzuziehen, und Joseph, der ein ganzes Volk vor der Hungersnot bewahrte. Wir sehen unsere Vorväter als Helden an, obwohl sie in Wirklichkeit schwach waren. Als David mit seiner Steinschleuder Goliath niederstreckte, war er noch ein Knabe. Saul kam aus dem kleinsten und unbedeutendsten Stamm, Gideon war sogar der Schwächste seines Stamms. Moses, der schwerzüngig und wenig redegewandt war, flehte zu Gott, er möge einen anderen bestimmen, um die Israeliten aus Ägypten zu führen. Und Joseph war ein Sklave. Keiner dieser Helden konnte sich einer beeindruckenden Herkunft rühmen oder zeichnete sich irgendwie besonders aus. Die Rabbis sagen, dass Gott absichtlich diese Männer auswählte, weil er durch ihre Schwachheit seine Stärke bewies.«
    Rachels bezwingende Stimme, ihr eindringlicher Blick, die anmutigen Gesten ihrer Hände fesselten ihre Zuhörer; es war, als spielte sich die Geschichte, die sie erzählte, vor ihren Augen ab. Auf einzigartige Weise brachte sie die Vergangenheit zum Leben, so dass Ulrika wie gebannt auf die Fortsetzung wartete. Begeistert fragte sie Rachel, ob sie angesichts dieser besonderen Begabung schon einmal daran gedacht habe, den Bewohnern der Oase ihre faszinierenden Geschichten zu erzählen.
    »Dieser Gedanke ist mir noch nie gekommen«, gestand Rachel, aber die Vorstellung, ihre Geschichten anderen mitzuteilen, schien ihr offensichtlich zu gefallen. »Vielleicht sollte ich das tun«, fügte sie hinzu, »zumal meine Geschichten unterhaltsam sind und verhindern, des Nachts Angst zu haben.«
    Aber es gab ein Ritual, das Rachel regelmäßig praktizierte und dessen Bedeutung sich Ulrika nicht erschloss. Irgendwie scheute sie sich, Rachel danach zu fragen. Jedenfalls war es so, dass Rachel in regelmäßig wiederkehrenden Abständen das Lager verließ und sich an einem abgeschiedenen Ort niederließ, ihr Gesicht mit den Händen bedeckte und sich unter leisem Flüstern rhythmisch hin und her bewegte.
    Anfangs hatte Ulrika gedacht, Rachel würde weinen – eine Witwe, die sich im Gedenken an den, den sie verloren hatte, an einem abseits gelegenen Ort ihrem Kummer hingab. Da Rachel aber stets lächelnd zurückkehrte und nichts darauf hindeutete, dass sie geweint hatte, fasste sich Ulrika dann doch ein Herz, sie um eine Erklärung zu bitten. »Das ist meine Meditation«, antwortete Rachel bereitwillig. »Sie ist stärker als das Gebet, weil sie zielgerichtet ist. Mit dieser Konzentration kann man Verbindung mit dem Überirdischen aufnehmen.«
    Mit dem Überirdischen …
    Da Ulrika den Wunsch verspürte, die Meinung und den Rat dieser Frau einzuholen, und weil sie sich eigentlich sicher war, Rachel vertrauen zu können, sagte sie: »Es heißt, dass ich eine spirituelle Gabe besitze – die der Mittlerin. Weißt du etwas darüber?«
    Rachel schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenne sie nicht. Obwohl es in der Geschichte meines Volkes viele gibt, die über spirituelle Gaben verfügen – Propheten und Visionäre.«
    Nachdem Ulrika erklärt hatte, was es mit ihrer Suche auf sich hatte, meinte Rachel: »Ich zeige dir gern meine persönliche Art und Weise der Meditation.«
    Aufmerksam lauschte Ulrika, wie Rachel nicht nur eine Technik der Visualisierung beschrieb, sondern dass es für sie dazugehörte, ein Wort oder einen Satz mehrmals hintereinander zu wiederholen. »Man braucht viel Übung dazu, denn der Verstand hat einen eigenen Willen und lässt sich nicht so einfach steuern. Deshalb meditiert man am besten an einem abgeschiedenen Ort. Die Rabbis sagen, wenn man im Freien betet, stimmen die Vögel mit ein, was die Wirkung des Gebets verstärkt. So muss es auch beim Meditieren sein.
    Vielleicht«, fügte sie nach kurzem Überlegen zu, »hilft dir diese Meditation, deine persönliche Beziehung zum Überirdischen zu verstehen.«
    Da Rachel ihr Inneres geöffnet zu haben schien, wagte Ulrika, ihr die Frage zu stellen, die ihr seit Beginn ihres Aufenthalts bei den beiden Frauen auf den Lippen brannte: »Rachel, was hält dich eigentlich hier fest? Würdest du nicht lieber in einer Stadt oder in einem Dorf leben? Warum kommst du nicht mit mir nach Babylon?«
    »Ich

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