Die Schicksalsgabe
zu der Kammmuschel und dem Kreuz Odins einen weiteren Talisman um den Hals. Er war klein, aus Zedernholz geschnitzt und an einer dünnen Hanfschnur befestigt. »Das ist ein sogenannter
Magen David
«, sagte sie, »der Schild Davids.« Der Talisman bestand aus zwei um einen Mittelpunkt ineinander verwobenen Dreiecken und glich einem sechszackigen Stern. »Zwischen hier und Babylon«, sagte Rachel, »wirst du mit jüdischen Gemeinschaften in Kontakt kommen, und sobald sie diesen Stern sehen, werden sie dich als ihresgleichen aufnehmen.«
»Versprich mir, Rachel, dass du die Geschichten, die du mir erzählt hast, auch den Bewohnern der Oase vorträgst.«
»Das werde ich«, bekräftigte Rachel. Und dann umschloss sie Ulrikas Hände und sagte: »›Denn in Freuden werdet ihr ausziehen und in Frieden geleitet werden. Die Berge und die Hügel werden vor euch in Jubel ausbrechen.‹« Sie drückte Ulrikas Hand. »Das stammt vom Propheten Jesaja. Friede sei mit dir, Ulrika. Und Gottes Segen. Ich bete darum, dass du findest, was du suchst.«
Fünftes Buch Babylon
19
Sechs Schwestern waren es, die auf der Suche nach Ehemännern nach Babylon gereist waren.
Ulrika war sich nicht sicher, ob diese jungen Frauen im Alter von dreizehn bis vierundzwanzig genau wussten, worauf sie sich da einließen, aber optimistisch und fröhlich, wie sie waren, hatten sie sich in der Oase Bir Abbas der Flachskarawane angeschlossen und berichtet, dass ihr Vater, ein Witwer, sich wegen seiner Spielschulden gezwungen gesehen habe, sein Haus und seine Schafe zu verkaufen und sich selbst in die Sklaverei zu begeben, weshalb ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als seine Töchter in die Welt zu schicken, in der Hoffnung, dass ihnen ein besseres Leben beschert sein werde.
Insgesamt sieben junge Frauen, zwei Großmütter und ein älterer Zimmermann waren es, die sich auf einem flachen, von Maultieren gezogenen Karren durchrütteln ließen und die Türme und den Rauch der Feuer von Babylon näherkommen sahen. Ulrika hatte sich der Karawane in Petra angeschlossen, wohin der babylonische Flachshändler eine Ladung Fasern, Samen und Blumen zum Verkauf an Leinweber und Hersteller von Medizinen und Färbemitteln geliefert hatte. Um auf dem Rückweg seine leeren Karren gewinnbringend auszulasten, nahm er zahlende Reisende mit, die bei verschiedenen Siedlungen und Bauernhöfen entlang des Weges jeweils zu- oder ausstiegen. Jetzt dauerte es nicht mehr lange, bis der Tross die Endstation seiner zweimal jährlich stattfindenden Reise erreichte, und auch die Mitreisenden freuten sich auf Essen und Unterkunft und sicheren Boden unter den Füßen.
Ulrika fieberte der Ankunft in Babylon entgegen. Nach langen Wochen in der Wüste, nach Zeltlagern in Oasen, nach dem ständigen Unterwegssein, ob zu Fuß oder auf dem Karren, genoss sie die frische Brise, die sie vom Euphrat her streifte. Die Wüste wich zusehends saftig grünen Weiden, Dattelhaine, Weizen- und Gerstenfelder breiteten sich aus. Sie kamen an Schwemmland und Weihern vorbei, von denen Wasservögel in allen Farben des Regenbogens aufstoben. In der Ferne wälzte sich das blaue Band des Flusses träge an dichten Pappeln und Tamarisken vorbei, um dann unter den Stadtmauern zu verschwinden, denn Babylon lag zu beiden Seiten des Euphrats.
Als die kleine Karawane auf das Adad-Tor zuhielt, dem Hauptzugang in der Westmauer, schickte sie ein stummes Dankgebet zur Großen Mutter. Sie hatte die lange Strecke heil überstanden und würde bald wieder mit dem Mann, den sie liebte, vereint sein. Ihre Liebe war mit jedem neuen Tag noch größer geworden; ständig sah sie Sebastianus mit seinem in der Sonne bronzefarben leuchtenden Haar und dem von Grübchen durchzogenen Lächeln vor sich, hörte seine tiefe, gebieterische Stimme. Obwohl viele aus Ulrikas Gruppe vorhatten, die Karawane hier zu verlassen und zu Fuß die Stadt zu betreten, wollte sie selbst noch bis zur südlichen Spitze der mauerbewehrten Stadt mitfahren, wo sich dem Vernehmen nach der Sammelpunkt für die Karawanen befand, die gen Osten aufbrachen. Dort würde sie Sebastianus bestimmt antreffen.
Wann immer sich Karawanenführer entlang der vielen Handelswege des Römischen Reichs begegneten, tauschten sie nicht nur Waren, sondern auch Neuigkeiten aus. In der Oase Bir Abbas, ihrem letzten Lager, hatte der Flachshändler sein Lagerfeuer mit einem Weinverkäufer geteilt, der nach Westen unterwegs war, und von ihm erfahren, dass unter der Leitung eines
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