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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Abweichung von der Wahrheit. Deshalb sagte er: »Sie wollten sich am Golf einschiffen. Inzwischen dürften sie weit draußen auf dem Meer sein.«
    Auch wenn Ulrika unendlich enttäuscht war, dankte sie dem Mann und machte sich dann auf den Rückweg zu Babylons gewaltigen Toren, wandte sich vom östlichen Horizont ab, wo man im letzten Tageslicht noch den Staub von den Pferdehufen und Rädern der großen Karawane aufwirbeln sah, die soeben nach China aufgebrochen war.

20
    Babylon, an der Kreuzung zwischen Ost und West gelegen, war unter der Regierung der Parther zweifelsohne eine kosmopolitische Stadt, wenn auch nicht mehr so mächtig wie einst. Es gab Glaubensrichtungen aller Art, jedweder Fremde fand hier den Gott oder die Göttin seiner Wahl: Griechen die Schreine der Aphrodite, des Zeus und der Diana, während Römer, sofern sie sich nicht gerade im Krieg gegen die Parther befanden, die Tempel des Jupiter oder der Venus besuchten. Phönizier konnten Baal ihre Opfergaben darbringen, Ägypter sowohl Isis wie Osiris, Perser dem Mithras. Und selbstredend residierten hier in prächtigen Tempeln Babylons eigene Gottheiten, Marduk und Ishtar.
    Ulrika hatte sie alle besucht, hatte in dem Bestreben, sich in innerer Selbstdisziplin zu üben, mit Priestern und Orakeln und weisen Frauen gesprochen. Sie meditierte jeden Abend, aber auch wenn es ihr inzwischen immer mal wieder gelang, kraft ihres Willens Visionen heraufzubeschwören, waren diese Visionen nur von kurzer Dauer gewesen. Wohl weil sie müde wurde oder abgelenkt und deshalb unkonzentriert war. Die verschiedenen Tempel und Priester boten zwar unterschiedliche Formen des Gebets an, aber niemand konnte ihr den Pfad zu tieferer Meditation weisen.
    Ebenso erfolglos war ihre Suche nach Hinweisen auf die Kristallenen Teiche geblieben.
    Die ganze Zeit über, seit sie in dieser Stadt am Euphrat weilte, war Ulrikas Herz bei Sebastianus, dem sie alles Gute auf seinem Weg nach China wünschte.
    Sie las jeden Abend seinen Brief und hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, vor dem Einschlafen mit ihm zu sprechen. Dann rief sie sich sein Gesicht ins Gedächtnis und sein Lächeln, meinte seine Kraft und Stärke zu spüren, erinnerte sich daran, wie sich in der letzten Nacht in Antiochia, als er ihr seine Liebe gestanden hatte, seine Hände auf ihren Armen angefühlt hatten. Wenn Babylon sich in unruhigem Schlummer hin und her warf, lag Ulrika auf ihrem Bett und berichtete Sebastianus im Flüsterton, was sie tagsüber erlebt und was sie erreicht hatte, und versicherte ihm, dass sie von morgens bis abends an ihn denke, in der Hoffnung, dass Merkur, der Götterbote und Gott der Kaufleute und Händler, ihrem Liebsten ihre Worte zutragen werde.
    Jetzt schlug Ulrika den Weg zur Enlil-Straße ein, wo sie bei einer Witwe namens Nanna ein kleines Zimmer gemietet hatte. Nanna verdiente den Lebensunterhalt für sich und ihre fünf Kinder mit dem Bemalen von Ishtar-Eiern. Sie war darin sehr geschickt und verstand sich darauf, zarte Muster in Eier aus Ton zu kerben oder ausgeblasene Vogeleier hübsch zu bemalen. Solche Eier waren ein beliebtes Geschenk für Angehörige und Freunde, dienten aber auch gern als Opfergaben in den Tempeln Babylons. Im Austausch für Zimmer und Verpflegung ging Ulrika Nanna bei der Versorgung ihrer fünf Kleinen zur Hand. Auch ihre medizinischen Kenntnisse teilte sie mit den Nachbarn des Viertels – sie verordnete Heiltränke und Stärkungsmittel, stach Eitergeschwüre auf, half bei Geburten – brachte alles zur Anwendung, was ihr die Mutter beigebracht hatte.
    Immer aber nahm sie sich Zeit, den Sammelplatz für Karawanen im Süden der Stadt aufzusuchen, um sich bei Händlern, die aus dem Osten zurückkehrten, nach Sebastianus zu erkundigen. Zum letzten Mal hatte sie vor sechs Monaten etwas über die diplomatische Karawane, die unter der Schirmherrschaft des Kaisers nach China unterwegs war, erfahren: Ein Kaufmann, der mit Kamelen aus Baktrien handelte, hatte berichtet, dass die Gallus-Expedition seines Wissens nach die tückischen Gebirgspässe von Samarkand problemlos überwunden habe. Ulrika hatte sich gewundert, auf welchem Wege er von der Schiffsroute den Golf entlang so weit nach Norden ins Gebirge gelangt war, aber sie hatte darauf keine Antwort gefunden.
    Jetzt stand sie in der prallen Sonne auf dem Marktplatz, inmitten geschäftig hin und her eilender Menschen, die der jungen Frau in dem schlichten Gewand und dem Schleier über dem Haar keine Beachtung

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