Die Schicksalsleserin
ihr ritt Graf zu Hardegg mit zweien seiner Kürassiere vom Collegium ducale auf sie zu. Neben ihnen stand Carlos, der Arkebusier. Seine schwere Waffe zeigte gen Himmel und rauchte noch.
»Was ist hier los?«, fragte Graf zu Hardegg. Er trug einen prachtvoll glänzenden Kürass und einen kostbaren Mantel darüber, der mit Juwelen bestickt war. »Was wollt ihr mit dieser Frau?«
»Sie ist eine Hexe!«, rief der Bursche, der sie entdeckt hatte.
»Eine Spionin!«, ergänzte der glubschäugige Bürgersmann.
»Diese Frau ist möglicherweise eine Mörderin, Herr Graf«, schloss der Rheinländer neben Madelin.
Graf zu Hardegg blickte zu ihr herüber und verengte die Augen zu Schlitzen. »Diese Frau? Was für ein Mord soll das sein?«
»Der Kartenzeichner Woffenberger ist tot, Graf zu Hardegg«, berichtete der Bursche von der Bürgerwehr. »Sie stand über ihn gebeugt und tat irgendetwas - vielleicht Hexenwerk.«
»Aber der Mann ist schon seit Tagen tot«, wiederholte Madelin erneut. »Ich habe ihn auch bloß gefunden!«
Zu Hardegg ließ seinen Blick von Madelin über die Männer schweifen. »Und was hattet ihr mit ihr vor?«
»Ich wollte sie in die Schranne bringen, Herr«, gab der Rheinländer zurück, der Madelin noch immer festhielt. »Weil … weil die Situation außer Kontrolle zu geraten drohte.«
Der Graf seufzte. »Guter Mann. Und ihr anderen - ich begrüße eure Wachsamkeit. Aber dass gestandene Männer sich benehmen wie eine aufgebrachte Horde Hühner …«
Die Männer sahen beschämt zu Boden.
»Was machen wir jetzt mit ihr?«, fragte der Rheinländer.
Graf zu Hardegg ließ seinen Blick auf ihr ruhen. »Mir ist die Frau bekannt. Sie ist sicher vieles - aber keine Mörderin. Und keine Spionin.«
»Aber eine Hexe wohl?«, fragte der Bäckersmann.
Zu Hardegg starrte ihn an. »Sie ist auch keine Hexe. Lasst sie jetzt gehen.«
Die Männer der Reichshilfe gehorchten dem Befehl sofort. Der Einzige, der zögerte, war der Bäcker. Doch schließlich ließ auch er los. »Was, wenn’s nochmal passiert?«, fragte er. »Wenn wir sie bei der nächsten Leiche finden? Werdet Ihr sie dann wieder gehen lassen?« Die Menge um ihn herum schwieg.
»Wenn ihr sie noch einmal bei einer Leiche findet, dann haltet ihr sie fest und bringt sie zu Pernfuß in die Schranne, so einfach ist das.« Graf zu Hardegg wies auf einen Reitersmann mit einem Streitkolben.
»Du da, stell dich da vor die Tür zu Bewachung. Und der Rest geht. Mehr Besonnenheit, Männer! Du, Junge, gehst zum Stadtrichter und berichtest ihm von dem Kartenzeichner - eine Leiche in der Bürgerschaft ist sein Verantwortungsbereich. Und du«, er zeigte auf Madelin, »du bleibst hier.«
Die Männer verstreuten sich. Graf zu Hardegg stieg von seinem Pferd ab und trat auf die Wahrsagerin zu. Er seufzte wieder und rieb sich das Gesicht.
»Habt Dank, Herr Graf«, sagte Madelin leise.
»Der Ärger folgt dir und deinesgleichen auf dem Fuß!«, erwiderte er scharf. »Was werden die Männer jetzt von mir denken, meinst du?«
Diese Frage traf Madelin völlig unvorbereitet. Als sie schwieg, fuhr der Mann fort. »Sie werden denken, dass ich meine Hure schütze.«
»Das … das tut mir leid«, brachte sie heraus.
»Ja, vermutlich tut es das sogar«, erwiderte zu Hardegg kühl.
Madelin wollte etwas erwidern, doch sie zügelte ihre Zunge. Er hatte sie gerade vor der wütenden Menge abgeschirmt. »Trotzdem - seid bedankt. Ich weiß zu schätzen, was Ihr für mich getan habt.«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Du glaubst, ich habe das für dich getan?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe es für deine Mutter getan. Ich will ihr nicht mitteilen müssen, dass ihre missratene Tochter nach Wien zurückgekehrt ist, um sich hier von einem aufgebrachten Mob umbringen zu lassen.«
Madelin sog die Luft ein, um zur Gegenwehr anzusetzen, doch Graf zu Hardegg schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab. »Wie dem auch sei. Was wolltest du bei dem Kartenzeichner überhaupt?«
»Ich …« Madelin zögerte. Sollte sie ihm von den Spielkarten berichten? Aber was hatte Hardegg hier gesucht? Der Weg zu den Heiligenkreuzern war kein direkter Weg zu irgendetwas - und da die Gasse sehr schmal war, wurde sie von Reitern selten benutzt. Oder hatte der Graf gar selbst den Kartenzeichner besuchen wollen? Nein, sie schwieg besser. »Ich wollte ihm die Zukunft vorhersagen«, log sie also.
»Ich schätze, dafür ist es jetzt zu spät.« Der Hauptmann drehte sich um und stieg wieder auf sein Pferd.
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