Die Schicksalsleserin
Töne von Gold an, so dass sie schließlich beinahe braun wirkten. Hinter dem letzten Tuch stand eine Wache im roten Prachtgewand mit langem Schnurrbart. Der Mann musterte ihn unfreundlich, machte aber keine Anstalten, ihn abzuweisen. Schließlich schob der Bannerträger den letzten Vorhang aus Brokat beiseite, um ins Innerste des Zeltes vorzudringen.
Angenehm warme Luft schlug ihm entgegen. Der Rauch von Dufthölzern reizte ein wenig seine Augen. Goldene Laternen erleuchteten den Raum, in dem die Klangstäbchen einesWindspiels sachte aneinanderschlugen. Zwei kleine Öfchen fanden sich hier, damit der Beherrscher der Rechtgläubigen auch nicht fror. In der Mitte des Raumes stand ein flacher Tisch, auf dem Schalen von Obst neben gefüllten Weinkelchen standen.
Berge von Kissen türmten sich davor auf dem Boden, mit Gold- und Silberfäden in jener Kunst bestickt, die Christoph schon kennengelernt hatte. Manche Stoffbezüge funkelten in den Farben des Regenbogens - sie waren über und über mit Edelsteinen bestickt. In einer Ecke erblickte der Bannerträger einen kleineren Tisch, auf dem sich bereitgestellte Schalen mit herzhaften Gerichten sowie ein großer bauchiger Teekessel fanden. Eine Frau kniete dienstwillig daneben.
Im Zentrum der weichen Liegefläche lag, gebettet zwischen zwei weitere anmutig geschmückte Frauen, die Christoph unter dem Baldachin schon einmal gesehen hatte, der schlanke Sultan. Eine von ihnen hielt ihm gerade ein winziges gläsernes Gefäß - vermutlich mit Tee gefüllt - an die Lippen, die andere wartete mit einer üppigen roten Traube zwischen zwei Fingern, bis er getrunken hatte, dann versenkte sie die Frucht zwischen seinen Lippen. Der Bannerträger konnte seinen Blick nicht vom Geschehen abwenden.
Nach einigen Herzschlägen fiel Christoph auf, wie der Blick des Padischahs aus den Augenwinkeln auf ihm ruhte. Auch als der Mann ihn ansprach, wandte er den Kopf nicht um. »Da bist du ja. Tritt näher«, sagte er. Christoph sah zu Boden - er wusste nicht, ob es als Beleidigung empfunden würde, wenn er den Herrscher anstarrte - und gehorchte den Anweisungen. Er hatte seine Kleider und die Rüstung in den vergangenen Tagen zwar so weit gesäubert wie möglich, doch er fühlte sich noch immer erschreckend fehl am Platze unter den sauberen, festlich gewandeten Frauen.
Da gab der Herrscher in seiner Sprache einen Befehl, und zwei Frauen erhoben sich sofort. Sie traten mit gesenkten Lidern auf Christoph zu und hoben seine Arme seitwärts an. Mit geschickten Fingern öffneten sie die sperrigen Schnallen der Riemen, die den Kürass am Leib festbanden. Der Bannerträger
ließ sie gewähren. Sie legten seine Rüstung beiseite, beließen es aber nicht dabei. Erneut legten sie Hand an ihn an, knöpften sein Untergewand auf und streiften es ihm ab. Das ungewaschene Hemd zogen sie ihm über den Kopf. Eine befreite ihn von den Stiefeln. Schließlich kniete sich die Frau vor ihm nieder und schickte sich an, seine Beinkleider zu öffnen. Seine Hand fuhr dazwischen. »Warum tun sie das?«, fragte er den Padischah mit rauer Stimme. Der sah unter den dichten Wimpern zu ihm herüber. »Willst du dreckig speisen?« Der Sultan beherrschte die Fremdsprache nicht so flüssig wie Ibrahim Pascha. Aus seinem Mund klangen die Worte härter und kürzer.
»Nein«, bekannte Christoph. Er sollte mit dem Sultan das Mahl teilen, und das konnte er natürlich nicht in den Schlachtkleidern tun, in denen er verwundet worden war. Er nahm seine Hand zurück und nickte der Frau - der Sklavin, nahm er an - zu. Sie band die Beinkleider auf und streifte ihm die letzten Kleider ab. Dann stand er nackt da.
Die dritte Frau, die bei dem kleinen Tisch auf ihren Einsatz gewartet hatte, stellte eine silberne Schüssel mit Wasser, Lappen und Tüchern auf den Boden. Dann begannen die beiden anderen, ihn zu waschen. Sie reinigten sein Gesicht und den Nacken zuerst, fuhren dann über Hände, Arme und Schultern über die Brust und den Rücken. Als sie in die weiche Bauchgegend hinunterfuhren, fuhr Christoph ein Schauer über den Rücken. Er sog die Luft ein und versuchte, sich zu beherrschen, doch seine Lenden antworteten, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Die beiden Frauen lächelten zu ihm auf, während sie die feuchten Lappen über seine Oberschenkel gleiten ließen.
Peinlich berührt versuchte Christoph, sich zu entspannen. Welcher Mann würde unter einer solchen Liebkosung nicht ähnlich reagieren? Und doch - ein Mann sollte sich
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