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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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abzuschütteln. Wie konnte ein alter Mann so stark sein?
    Dann drückte er sie gegen den Kutschbock des Karrens und legte ihr das Messer an die Kehle. Madelin gab ihre Gegenwehr auf - der Kerl schien zu allem fähig. Der Geruch von eben schlug ihr jetzt so intensiv entgegen, dass sie würgen musste, denn unter der Süße lag derselbe Gestank, den sie an Woffenbergers Leichnam wahrgenommen hatte - Verwesung. »Die Karten. Jetzt!«
    Madelin griff langsam zu ihrer Gürteltasche und begann, an dem Band zu nesteln, das sie verschlossen hielt. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie die Lederschnur kaum greifen konnte. »Bitte«, flüsterte sie dabei. »Ich …«
    Ein Holzscheit traf den Alten mit Wucht an die Schläfe, so dass er rückwärtstaumelte, über die Holzgabel des Karrens stürzte und zu Boden ging. Madelin sah Franziskus, der blass und schwach an der Ecke des Karrens neben dem Hinterrad
lehnte. »Ich bin wach geworden, als Lucas reinkam … Und dann habe ich dich schreien gehört«, sagte er.
    »Danke schön, Franzl!« Sie umarmte ihn stürmisch. »Wir müssen hier weg.«
    »Wer ist das?«
    »Keine Ahnung!«
    Der Mann stöhnte und regte sich unter den Holzstangen. Seine Kapuze war ihm beim Sturz vom Kopf gerutscht und entblößte sein Gesicht. Madelin konnte für einen Herzschlag lang den Blick nicht abwenden, denn sie hatte das Gefühl, nicht in die Züge eines Menschen zu schauen. Der Angreifer hatte wulstige Brauen, faltige Wangen und selbst die Haut an Nase und Ohren war knotig. Jetzt sah sie auch, dass der weiße Bart nur in Teilen des Gesichtes wuchs, da die Wangen von braunen Flecken verunstaltet waren. Der Mann hatte mehr mit einem Löwen gemein denn mit einem Menschen.
    Madelin verdaute diesen Schrecken mühsam, dann nahm sie den Freund bei der Hand und zog ihn zur anderen Seite des Karrens. Dort streifte sie hastig ihr rotes Kopftuch an einen Nagel bei der Eingangstüre. »Komm!«, rief sie dann.
    Die Wahrsagerin eilte mit Franziskus so schnell es eben ging um die nächste Häuserecke hinein in eine Gasse. Doch der Freund war noch so schwach - mit ihm war an ein Weglaufen nicht zu denken. Wieder einmal war sie froh, dass sie die Stadt so gut kannte. Madelin bog von der Hauptstraße gleich wieder in eine Seitengasse und suchte sich dort einen tiefen Hauseingang. »Hier hinein«, sie drückte sich an die vernagelte Tür, damit man sie von der Straße aus nicht sah. Dann spähte sie vorsichtig um die Ecke.
    Franziskus tat es ihr keuchend gleich. »Sollten wir nicht …«
    Ein Mann kam um die Häuserecke getaumelt. »Psst!«, machte Madelin. Es war tatsächlich der Alte mit dem grauen Umhang.
Die junge Frau zog den Kopf gerade so weit zurück, dass sie mit einem Auge noch etwas sehen konnte.
    Der Mann hielt inne, offenbar irritiert, welchen der beiden Wege sie genommen hatten. Die Öffnung der Kapuze wandte sich der Gasse zu, in der sie standen. Der Alte setzte sich in Bewegung, geradewegs auf das Versteck zu. Madelin zog den Kopf zurück und hielt die Luft an. Sie lauschte auf das Knirschen seiner Schritte auf dem Gerölle, das hier die Straßen pflasterte. Sie kamen immer näher. Schließlich hörte das Knirschen auf. Hatte er sie gesehen? Zog er gar eine Waffe? Der Mann hustete.
    Ein Trupp Reiter aus Böhmen kam um die Ecke der Gasse getrabt und machte weiteres Lauschen unmöglich. Allesamt hatten die Schwerter gezogen und trieben ihre Pferde zur Eile an - vielleicht brauchte man sie als Verstärkung an der Südmauer. Madelin betete noch darum, dass niemand auf sie aufmerksam wurde, da war der Trupp auch schon vorbei, und die Gasse wurde wieder still. Wo war ihr Verfolger? Hatte er die Ablenkung genutzt, um sich weiter zu nähern?
    Endlich vernahm die Wahrsagerin wieder Schritte. Einen, zwei, drei. Beim vierten erkannte sie, dass sie nicht näher kamen, sondern sich entfernten. Der Kerl kehrte auf die Straße zurück. Erst als die junge Frau ganz sicher war, dass der Alte nicht mehr in Reichweite war, wagte sie sich wieder aus dem Versteck heraus - aber sie zog Franziskus mit in die andere Richtung, weiter die Gasse hinunter.
    Aus dem Süden drang der Lärm eines Gefechtes herüber. Selbst hier im Westen herrschte Hektik - Landsknechte eilten durch die Straßen, ein weiterer Reitertrupp galoppierte vorbei. Jetzt hörte Madelin auch Schreie und Schüsse - dunkle und donnernde von Kanonen sowie helle, peitschende von Arkebusen.

    Die Wahrsagerin eilte mit Franziskus auf Umwegen durch die halbe Stadt. Ihr

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