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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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zu erzählen, angefangen davon, wie Lucas an die Karten gekommen war, über Woffenbergers Tod und den Angriff des löwengesichtigen Mannes mit den schlohweißen Haaren. Sie zeigte den Freunden auch ein paar der Karten, damit sie sich selbst ein Bild davon machen konnten.
    »Ein Mann ist gestern Abend um unser Lager herumgeschlichen. Erstaunlich behände für sein Alter«, sagte Erisbert. »War das derselbe?«
    »Ich denk schon«, sagte Madelin. »Der Mann, der mich angegriffen hat, war trotz seines Alters sehr stark. Aber wer weiß - vielleicht sind ja bloß die Haare weiß, und der Mann darunter ist noch jung?«
    »Aber wenn du sagst, dass Lucas die Karten vom Woffenberger genommen hat - offenbar klauen auch die Studenten wie die Raben«, sagte Scheck, »wie kam der Alte dann auf dich? Woffenberger wird vor seinem Tod sicher noch geredet haben. Warum hat er nicht Lucas zuerst aufgesucht?«
    Madelin bekreuzigte sich. »Ich habe die letzten Tage über in Weinstuben und auf Plätzen gesessen, um Leuten die Zukunft vorauszusagen«, erwiderte sie. »Dutzende von Menschen haben mich dabei gesehen.«
    »Vielleicht kannte der Kerl Lucas gar und wusste, dass er dich täglich besucht?« Erisbert war die Stimme der Vernunft, wie immer. »Dein Student hat aus seiner Zuneigung ja nicht unbedingt ein Geheimnis gemacht.«
    Madelin antwortete nicht. Stattdessen lauschte sie den Kanonen.
Sie hatte den Eindruck, dass die Abstände zwischen den einzelnen Schüssen größer wurden. Bedeutete das, dass die Verteidiger auf den Mauern standhielten - oder dass das Bollwerk überwunden war? Konnten sie überhaupt lange standhalten, wenn die Osmanen sich ernsthaft an einen Sturm machten? In jedem Falle ließ sich das Unvermeidliche nicht länger hinauszögern. »Wir müssen die Wagen von Sankt Ruprecht wegschaffen und irgendwo anders verbergen«, sagte sie. »Ich werde dort kein Auge mehr zumachen können.«
    »Zum Glück gibt’s ja genug freie Betten in der Stadt«, sagte Scheck mit einem Grinsen. Er hatte es nie schwer, bei einer Magd ein angewärmtes Lager zu finden. Doch dann wurde der Spielmann ernst. »Aber was sollen diese Änderungen auf den Karten? Warum wurden sie angefertigt?«
    Franziskus blinzelte müde. »Ich sage doch, ich müsste erst ein paar Berechnungen anstellen, bevor ich euch mehr dazu sagen kann. Ich bräuchte dazu Literatur. Aber da wir die kaum mitten im belagerten Wien an einer Straßenecke finden werden, ist das alles eh müßig, oder?«
    Madelin trank einen Schluck Wein und dachte nach. »Ich wüsste da vielleicht jemanden, der an eine Bibliothek herankommt.« Sie wollte Lucas ungern noch tiefer in diese Angelegenheit ziehen, doch sie sah keinen anderen Weg. »Wir müssen mit Lucas sprechen. Ich will wissen, was auf diesen Karten steht.«
     
    »Hier sieht’s ja aus wie bei mir in der Kodrei«, kommentierte der Student das Innere der Bibliothek.
    Madelin musste ihm Recht geben, denn sie hatte das verlotterte Armenhaus für Studenten inzwischen mit eigenen Augen gesehen. Nachdem sie mit Franziskus, Miro und Scheck die Wagen leer geräumt und die Pferde untergestellt hatte, waren
sie nun gemeinsam zu Lucas in den Goldberg gezogen. Sie hofften, dort sicherer als auf offener Straße zu sein. Vorher hatten sich alle noch bemüht, ihre Spuren zu verwischen und etwaige Verfolger abzuschütteln. Keinem von ihnen war der Löwengesichtige mit dem schlohweißen Haar wieder aufgefallen.
    Lucas war mit Madelin und Franziskus auf dem Weg zur Bibliothek im oberen Stockwerk der Universität. Das eigentlich würdige Gebäude mit dem Steinfußboden und dem Treppenaufgang, der jedes Geräusch hallend bis in die letzte Kammer trug, wirkte jetzt eher wie ein Schlachtfeld. Essensreste, Pisspötte, aufgerissene Kisten, deren Inhalt verstreut und teilweise als Brennmaterial verwendet worden war - die Landsknechte, die Graf zu Hardegg hier erst kürzlich hatte vertreiben lassen, hatten ganz schön gehaust.
    Lucas steckte den Schlüssel ins Schloss, den sie in einer Kiste in der Kodrei Goldberg gefunden hatten, und blickte Madelin an. »Heinrich ist Librarius «, erklärte er. »Er hilft dem Bibliothekar, daher hat er eigene Schlüssel. Ich habe gar nicht daran gedacht, dass er sie zurückgelassen haben könnte.« Er fuhr sich durch das blonde Haar und zögerte. »Und du meinst, Franziskus kann hier das Geheimnis deiner Karten enträtseln?«
    »Das wollen wir hoffen«, sagte Madelin. »Sonst wüsste ich nicht, wie wir noch herausfinden

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