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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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alte Decke, die sie dem Pferd übergeworfen hatte. Das Stroh darunter hatte sich ein wenig gelöst. Madelin holte neues vom Vorrat und stopfte welches nach. Dann zerschlug sie die dünne Eiskruste, die sich im Eimer auf dem Wasser gebildet hatte. »Mir auch. Ich fürchte, das wird ein schlimmer Winter.«
    »Zumindest ist es ein schlimmer Herbst«, erklang Lucas’ Stimme hinter ihr.
    Madelin drehte sich um. »Lucas! Hast du nichts Besseres zu tun?«, neckte sie ihn.
    »Als nach einem Kranken zu schauen?«, erwiderte er unschuldig, doch seine Augen funkelten freudig. Franziskus war nicht der einzige Grund, der ihn hergeführt hatte. Er wurde ernst. »Wie geht es ihm?«
    »Er hat heute Morgen wieder einen Anfall gehabt«, sagte Madelin. »Wie gestern.«
    »Aber sie kommen nicht nur morgens?«
    »Nein. Wäre das von Bedeutung?«
    Lucas nickte. »Wenn man eine Regelmäßigkeit feststellen kann, dann würde es gegen eine Besessenheit sprechen. Wie man etwa, wenn jemand alle drei oder vier Tage Fieber hat, auf das Wechselfieber schließen kann, könnte man durch solche Muster der Anfälle vielleicht erkennen, was für eine Krankheit sie verursacht - und wie man sie kurieren kann.«
    »Ah. Nein, leider ist mir so etwas noch nicht aufgefallen«, sagte Madelin.
    »Schade«, sagte Lucas.
    »Und sonst? Wie hält er sich?«
    »Er ist so wütend«, berichtete sie bedrückt. »Heute hat er alle seine unbemalten Heiligenfigürchen ausgekippt und mir
aufgetragen, sie in den Fluss zu werfen, weil sie eh nichts taugen würden.«
    »Ich finde die Einstellung recht verständlich«, begann Lucas, doch Madelin unterbrach ihn. »Aber er ist kein Lutheraner! Und die Wut in seinen Augen …«, sie suchte nach Worten, um den Ausdruck zu beschreiben, doch sie fand keine. »Sie war nicht gegen mich gerichtet, versteh das nicht falsch. Eher gegen … alles. Und gegen sich selbst.«
    »Viele Menschen, die mit einem Leid geplagt sind, zweifeln irgendwann an Gott«, erklärte Lucas. »Das ist nur zu verständlich. Es kann aber auch an einem Ungleichgewicht der Säfte liegen. Ich geh besser mal hinein und seh ihn mir an.« Er wollte sich schon umdrehen, doch Madelin fiel ein, was sie ihn noch fragen wollte. »Lucas, die Karten, die du mir geschenkt hast … Woher stammen die eigentlich?«
    »Vom Woffenberger. Das ist ein Kartenzeichner in der …«
    »Ich weiß, wo Woffenberger seine Werkstatt hatte«, sagte Madelin.
    Lucas zog eine Braue hoch. »Hatte?«
    »Ja. Er ist tot.«
    »Ja, wie denn das bloß? Vor ein paar Tagen war er noch fidel!«
    »Man hat ihn umgebracht, Lucas.«
    Diese Neuigkeit schien den Studenten ganz sprachlos zu machen. Madelin ergriff seine Hand und drückte sie ein wenig. »Hast du ihn gut gekannt?«
    »Ich - nein«, sagte er. »Aber ich kannte ihn. Und - ist es nicht schrecklich, dass in einer Stadt, in der so viele Menschen sterben, auch noch solche Taten begangen werden?«
    »Ja, das ist es.« Sie trat an seine Seite und legte ihm die andere Hand auf den Arm. »Meinst du, dass sein Tod etwas mit den Karten zu tun hat?«

    Lucas wurde bleich. »Ich weiß es nicht«, murmelte er. »Aber wenn doch, dann … dann habe ich ihn umgebracht.«
    »Du - ihn umgebracht? Weil du ihm ein Kartenspiel abgekauft hast? Wie kommst du darauf?«
    Jetzt wurde der Student rot. »Abgekauft ist nicht ganz richtig … Ich habe ihm wohl Geld dagelassen. Aber er war so beschäftigt mit Packen und kam nicht wieder aus dem Keller …« Er raufte sich die Haare.
    »Du hast sie einfach mitgenommen?«
    Lucas nickte. »Hältst du mich jetzt für einen Dieb?«
    Madelin schmunzelte. »Ich bin eine Fahrende, eine Gauklerin. Ich werde niemanden in die Schranne schleifen, Lucas. Ich habe auch schon gestohlen, um zu überleben. Meistens Obst und Schinken.« Sie wurde wieder ernst. »Aber eigentlich glaube ich nicht, dass man einen Mann wie Woffenberger wegen eines Kartenspiels töten würde. Er wird einen Plünderer ertappt haben - immerhin hat er sicher viel kostbarere Pläne in seiner Werkstatt gehabt, als ein Trionfi-Spiel, so hübsch es auch sein mag.«
    »Ja«, sagte Lucas sichtlich erleichtert. »Du magst Recht haben.« Er legte ihr die Hand an die Wange. »Madelin, du …«
    Ein neuerlicher Kanonenschuss zerriss die Luft. Die Wahrsagerin schreckte zusammen und lauschte, doch der Einschlag erfolgte irgendwo südlich von ihnen, im Kärntner Viertel. Der Student zog seine Hand zurück und sah zu Boden. »Jetzt schau ich aber wirklich besser nach Franziskus,

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