Die Schicksalsleserin
immer in den Kellern Wiens versuchten, dem Graben der Osmanen entgegenzuwirken.
Der Himmel zeigte sich nicht so hell und strahlend wie in den letzten Tagen. Wolken verhingen den Blick auf die Sonne und färbten den Tag grau.
»Verdammt still heute, oder?«, fragte Rudolph mit klappernden Zähnen.
»Es war auch schon verdammt still gestern, bis diese heillose Schießerei vor der Burg begonnen hat«, erwiderte Lucas und schlug den Stoff enger um die Schultern.
»Das hatte etwas mit der Frau zu tun«, sagte Rudolph mit einem Seitenblick auf ihn. »Die, die du eben rausgebracht hast.«
Lucas ging nicht darauf ein. »Sie planen da draußen etwas, sagen die Landsknechte. Es ist schon den ganzen Tag über viel zu ruhig.« Seit fast zwei Wochen wartete Wien nun auf einen richtigen Sturm der Osmanen. Seit dem Einschüchterungsversuch des Sultans, der angeboten hatte, die Stadt im Falle einer Kapitulation zu verschonen, hatte es nur halbherzige Versuche gegeben, die Mauern zu nehmen.
Rudolph ließ nicht locker. »Woher weißt du denn, dass sie’s nicht war?«
Lucas legte die Stirn in Falten. Er wusste in seinem Herzen, dass Madelin keinem Menschen freiwillig ein Übel antun würde. »Ich kenne sie.«
»Vielleicht hat sie dich verhext?«
Lucas sah ihn erstaunt an, dann lächelte er. »Nicht mehr, als jede andere Frau das auch vermöchte.«
Zusammen machten die beiden Männer sich auf dem Rossmarkt an die Arbeit. Es galt, aus den Holzbalken der abgerissenen Gebäude Teile zusammenzuzimmern, die man gegebenenfalls in Mauerdurchbrüche und zur Verstärkung von aufgesprengten Toren bringen konnte, um die Löcher zu flicken.
Dabei blickte Lucas wieder und wieder zum Himmel. Bereits seit Tagen gab es rege Betriebsamkeit im Lager der Osmanen, ohne dass etwas geschah. Ihm lastete die Warterei auf dem Gemüt. Er verstand nicht viel von Strategie und Taktik, doch heute fühlte sich die Stimmung in der Stadt irgendwie anders an. Der Student konnte nicht beschreiben, wie er darauf kam; vielleicht war es dort draußen stiller als sonst. Oder eine gewisse Anspannung drang über die Mauern herein.
»Steinkober«, knurrte eine Stimme, die Lucas nur allzu gut kannte. Er wandte sich um und sah Wilhelm Hofer neben dem Stapel Bauholz stehen. Der massige Zimmermann betrachtete die Holzarbeit vor seinen Füßen und schüttelte bloß den Kopf. »Wir sollten zusehen, dass wir die Aufgaben tauschen. Du nagelst hier oben alle Nägel krumm, und ich bin unter der Erde so blind wie ein Maulwurf.«
Lucas stellte den Krug zurück, aus dem er gerade getrunken hatte. Dann wandte er sich wieder dem Hammer zu und griff sich einen Nagel, um damit ein Holzbrett auf einem Pfosten zu befestigen.
Hofer sah sich das noch einen Augenblick an, bevor er sagte:
»Wenn’st die Nägel von schräg rechts und links hineintreibst, dann sitzt’s Holz besser. Soll ja nicht hübsch aussehen, soll nur halten.«
Lucas sah auf. Dann probierte er diese Anweisungen aus und nickte zufrieden. »Danke schön.«
»Wir brauchen dich da unten wirklich«, bat Hofer eindringlich. »Du musst wieder runter in die Minen kommen.«
»Warum ausgerechnet ich?«, fragte Lucas gereizt. Die Erinnerung holte ihn ein - feuchte, schale Luft in den Gängen, die Enge, die Dunkelheit … Er machte seiner Verunsicherung ärgerlich Luft. »Bin ich etwa der Messias, dass ich da unten so unersetzlich bin?«
»Wohl kaum«, schnaubte der Zimmermann.
»Also, warum muss ich unbedingt in diese verdammten Löcher runterkriechen?«
»Weil du Ohren hast wie ein verdammter Luchs, deshalb«, fuhr ihn Hofer an. »Nicht einmal Bernhard und Thomas hören unter der Erde so gut wie du. Wenn ich deine Ohren mitnehmen könnte, ohne dich Feigling da runterzuschleifen, würde ich es tun«, sagte er. »Aber leider muss der Rest deines Körpers mit dranhängen, damit du uns sagen kannst, wo wir hinmüssen. Also schwing deinen verdammten Arsch da runter, Bürschlein, oder ich verschnüre dich zu einem handlichen Ballen und trage dich.«
Lucas schüttelte den Kopf. »Ihr werdet auch ohne mich klarkommen.«
»Verdammt nochmal, ich glaube es nicht …«
»Das ist mein letztes Wort, Hofer!«, sagte Lucas scharf. »Ich werde nicht mitkommen. Ich bin nicht dafür gemacht, wie ein Maulwurf unter der Erde herumzukriechen!«
»Ihr Studenten seid doch alle gleich. Ihr erhaltet eine teure Ausbildung, die euch zu den bestmöglichen Männern machen
sollte, die ihr werden könnt. Aber ihr könnt nicht einmal bis zu
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