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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Jahren hat er große Teile Ungarns erobert. Der Stadtrichter Pernfuß hat die Befestigungen der Vorstadt verstärken lassen«, sagte Heinrich. »Aber man sagt, Graf Salm habe dem Erzherzog anfänglich sogar vorgeschlagen, Wien ganz aufzugeben und niederzubrennen, damit die Türken es nicht kriegen.«
    Diese Offenbarung verschlug Lucas für einen Augenblick die Sprache. »Und trotzdem bleibt er und organisiert die Verteidigung?«, fragte er dann.
    »Der Erzherzog hat es ihm befohlen. Unter Leuten von Stand nimmt man so etwas ernst.«
    »Hein, du bist und bleibst ein Stutzer«, sagte Lucas und warf ihm einen leicht vorwurfsvollen Blick zu. Er konnte es nicht leiden, wenn der Freund aus Geld und Herkunft keinen Hehl machte.
    Inzwischen war die Sonne so weit untergegangen, dass man das Treiben auf der Straße im Zwielicht nur noch schlecht erkennen konnte. Die Studenten hatten sich beim Reden weiter durch das Gedränge geschoben und erreichten nun eine Gruppe,
die sich um einige verwundete Kürassiere sammelte. Magister Vilenius, der Universitätsdozent, hatte gerade einen Reiter von seiner Metallplatte befreit, die sich ins Fleisch gedrückt hatte, und behandelte nun dessen heftig blutende Wunde an der Seite. Lucas sah bei dem fahlen Licht kaum etwas, doch er war froh, dass Vilenius, der viel Erfahrung mit solch großen klaffenden Schnitten besaß, sich des Mannes angenommen hatte. Ein geringerer Arzt würde vermutlich nichts mehr ausrichten können. »Er muss in ein Lazarett!«, rief der Magister und verband den Mann so weit, dass ein Transport möglich wäre. »Doch zuerst muss ich nähen.«
    »Nur eine Schnittwunde«, sagte Heinrich und wirkte fast enttäuscht. Eilig zog er Lucas weiter. »Schau, dort!« Der Adelssohn wies mit dem Finger auf Männer und Frauen, die sich in einer Seitengasse um einen schreienden Mann scharten. Als die beiden Studenten zu der Gruppe hinüberliefen, erkannten sie, dass im Schatten des hölzernen Vordachs eines Fachwerkhauses ein verwundeter Handwerker lag. Ein Stück Holz ragte ihm aus der Schulter. Daneben stand ein Karren mit festgezurrten Möbeln - offenbar hatte der Meister sein Lager geleert und war in die Stadt gezogen, um Hab und Gut zu retten. Das abgebrochene Bein eines schlanken Stuhles hatte sich offenbar in sein Fleisch gebohrt.
    Lucas sah sich nach Hilfe um, doch Magister Vilenius war inzwischen mit dem verletzten Reiter abgezogen, und weit und breit gab es sonst niemanden, der die Robe eines Physicus trug. »Sind denn nicht mehr Magister hier? Es kann doch nicht sein, dass Vilenius der einzige Arzt in der Stadt ist!«
    »In dieser Vorstadt wohl schon, zumindest habe ich hier noch keine anderen gesehen. Viele Dekane und Professoren sind gen Krems oder Linz unterwegs, soweit ich weiß«, antwortete Heinrich.

    Als der Verwundete versuchte, sich zu bewegen, schrie er vor Schmerz laut auf. Eine Frau neben ihm schlug verzweifelt die Hände vors Gesicht. »So hilf doch jemand!«
    »Jemand muss etwas tun!«, rief Lucas. Er konnte sich kaum zurückhalten.
    »Du darfst aber ohne Aufsicht noch gar nicht behandeln!«, ermahnte ihn Heinrich und zupfte zur Klarstellung am silbernen Gürtel an seiner Hüfte.
    Lucas griff zu seinem Cingulum und löste den Verschluss. Dann drückte er es Heinrich in die Hand. »Pack den Gürtel weg, damit ihn niemand sieht!«
    »Aber wenn dich jemand erkennt? Die Handwerker lieben uns nicht, die verpfeifen dich bestimmt!«
    »Bei dem Licht sieht man doch kaum etwas. Schon gar nicht der Handwerker - bei den Schmerzen, die er hat!« Dann zögerte Lucas nicht länger und eilte an die Seite des verletzten Zimmermanns.
    Der Mann hatte mehrere Prellungen, eine davon am Kopf. In der Schulter steckte ihm das abgebrochene Stück Holz. »Ein Pferd ist in ihn hineingerannt und hat ihn mit voller Wucht vornüber in den Karren geschleudert«, stammelte die neben dem Verletzten kniende junge Frau weinend, offenbar die Tochter oder die deutlich jüngere Ehefrau. »Könnt Ihr ihm helfen? Ich … wir können auch bezahlen!«
    »Ich will es versuchen.« Er zog sein langes Messer aus der Scheide am Gürtel und schnitt den Stoff von Wams und Hemd auf, um die Wunde freizulegen. »Heinrich …«, er nahm instinktiv an, dass sein Freund ihm zur Seite stand. »Ich brauche Leinentücher, die Paste zur Blutstillung mit Weihrauch, Aloe und Hasenhaar.«
    Als Heinrich nicht reagierte, sah Lucas auf. »Heinrich?« Der Freund starrte ihn zweifelnd an. »Leinentücher, Paste,

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