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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Hasenhaar«,
wiederholte er dann und begann, in der Ledertasche zu kramen. Dabei ließ er Lucas’ Cingulum , das er bis dahin immer noch in der Hand gehalten hatte, mit leisem Klingeln darin verschwinden. »Brauchst’ kein Wundpulver?«
    »Nein, wir werden keine Naht machen. Erst mal ein fester Verband, der verhindert, dass frisches Blut nachfließt.«
    Lucas wischte dem Handwerker mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und musterte sein Gesicht. Der Mann schwitzte vor Schmerzen, und seine Haut sah bereits ein wenig grau aus - kein gutes Zeichen. Dann sah der Student sich die Verletzung an. Er konnte nicht feststellen, wie tief das Stuhlbein im Fleisch saß, noch ob das Geäder getroffen worden war. Das würde er erst sehen, wenn er das Holz herausgezogen hatte.
    Heinrich reichte Lucas das Hasenhaar. Darauf hatte er die wundstillende Paste aus Weihrauch, Aloe und Eiweiß gestrichen, die sie vorhin gemeinsam im Studentenspital vor dem Stubentor angerührt hatten. Er hockte sich an den Kopf des Mannes, schob ihm ein Beißholz zwischen die Zähne und machte sich bereit, ihm die Schultern festzuhalten.
    Lucas warf Heinrich noch einen letzten zögernden Blick zu. Sie hatten das beide noch nicht selbst gemacht - tatsächlich hatten sie noch nicht einmal dabei zugeschaut. Ein Magister hatte erklärt, wie man eine solche Wunde behandeln musste, und ihnen ein, zwei Berichte zu lesen gegeben. Noch hatten sie nichts getan, was dem Verletzten helfen oder schaden konnte - niemand würde ihnen einen Vorwurf machen können, wenn sie sich unverrichteter Dinge wieder abwandten. Heinrich nickte leicht. »Ich halte ihn jetzt fest.«
    Lucas sah auf den wimmernden Handwerker hinunter. Wenn niemand etwas tat, würde der Mann mit Sicherheit sterben. Also zögerte der Student nicht länger. Er nahm das Pflaster aus Hasenhaar und begann, die Salbe vorsichtig um den hölzernen
Schaft herum auf der Haut des Handwerkers zu verteilen. Selbst bei dieser sanften Berührung stöhnte der Mann auf. Lucas sah Heinrich kurz an, dann nahm er das Leinen und wickelte es um Pflaster und Holzschaft herum. Wie erwartet wand sich der Handwerker vor Schmerzen, doch Heinrich hielt ihn mit festem Druck auf dem Boden.
    Jetzt gab es kein Zurück mehr. Lucas legte die linke Hand abstützend um die Stelle, an der das Stuhlbein ins Fleisch eindrang, und zog mit der Rechten mit einem Ruck an der Holzstange. Der Verwundete bäumte sich in Heinrichs Griff und schrie sich die Seele aus dem Leib, doch Lucas ließ sich nicht beirren. Erst dachte er, das Holz säße sehr fest, doch erstaunlich schnell glitt es aus der Schulter heraus. Lucas drückte das leinenumwickelte Pflaster auf die klaffende Wunde. Der Verwundete verstummte, sein Körper erschlaffte - die Schmerzen mussten ihm das Bewusstsein geraubt haben. Dann floss das Blut. Der rote Strom rann unter dem Verband in schnellen dunklen Schüben hervor.
    Lucas’ Gedanken überschlugen sich. So stark, wie das Blut floss, musste tatsächlich eine Ader beschädigt sein. Er musste kauterisieren, sonst würde der Mann verbluten. »Gibt es eine Schmiede oder eine Feuerstelle in der Nähe?«, fragte er in die Runde. Die Leute blickten ihn fragend an. »Ich brauche ein schmales heißes Eisen, schnell! Du da!« Er hob den Kopf in Richtung eines jungen Mannes, offenbar ein Zimmermannslehrling. »Kennst du dich hier aus?« Der Bursche nickte. »Dann hol mir einen glühenden Schürhaken! Schnell!« Endlich fiel die Starre von dem Lehrling ab, und er rannte davon.
    Lucas drückte den Leinenverband mit beiden Händen so fest auf die blutende Wunde, wie er konnte. Dennoch sog er sich so schnell voll, dass das Blut daran vorbei über die Schulter des Mannes und hinunter auf den Boden rann.

    Lucas wartete und betete innerlich, dass der Zimmermannsbursche schnell genug wieder zurück wäre. Er wusste nicht, wie viel Zeit verstrich, doch er bemerkte, dass die Gruppe der Beobachter, die um sie und den Verletzten herumstanden, immer größer wurde.
    Endlich kehrte der Bursche mit einem Schürhaken zurück, um das Ende der Stange hatte er einen Lappen gewickelt. Die Frau an der Seite des Handwerkers stöhnte entsetzt auf, als sie das glühende Eisen sah.
    »Heb ihn hoch, Heinrich!«, befahl Lucas.
    Der Freund zog den Oberkörper des Mannes auf seine Oberschenkel, damit sie nach dem Kauterisieren rasch den Druckverband anlegen könnten. »Ihr seid auch sicher, dass das nottut?«, stammelte die Frau.
    »Ganz und gar sicher«, keuchte

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