Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
genauso gut auch zum Platz vor der Burg geführt werden, wo sich die Verstärkung für sämtliche Mauerabschnitte sammelte. Das reichte Lucas aus, um eine Entscheidung zu treffen. Jemand musste dort die Aufgabe weiterführen, die diese Männer begonnen hatten.
    »Ruht euch aus. Wir gehen da rein, oder, Hofer?« Der Mann nickte, und sie verabschiedeten sich.
    Wilhelm Hofer war gestorben, weil er eine Mine zu leeren versucht hatte. Die Türken hatten sie genau in dem Augenblick gezündet, in dem Hofer den Minenhof gefunden hatte - die Kammer, in der das Pulver gelagert war. Als Georg und er in die Gänge eingestiegen waren, hatte der Morgen gerade zu grauen begonnen. Der vierte Sturm konnte jeden Augenblick beginnen. Was sie vorhatten war ein verdammtes Glücksspiel mit dem Teufel. Seine Entschlossenheit focht einen kurzen, aber heftigen Kampf gegen die Panik, die in ihm lauerte, und gewann. Er wurde ruhiger.
    Der Gang führte noch sicher drei Dutzend Schritte weit, dann endete er. Das Werkzeug der Männer zeigte in die Richtung, in die weitergegraben werden sollte. Der Student stellte seine Laterne ab, schloss die Augen und lauschte. Die Luft war stickig.
    Lucas kam sich vor wie auf einer Insel, auf der es weder Tiere noch Menschen gab. Außer dem Rascheln ihrer Gewänder, wenn eine Bewegung unvermeidlich war, hörte er nichts. Georgs Atem rasselte ein wenig, fand er, doch nicht so laut, dass er nichts anderes mehr hörte. Lucas schüttelte den Kopf und sah Georg an - der tat es ihm gleich. Auch er hatte nichts gehört.
    Die beiden Männer fingen an zu graben und hatten bald eine Routine gefunden, die gut funktionierte - einen Fuß Material
abgraben, einige Minuten lang lauschen. Wieder einen Fuß Erdreich abtragen - und erneut lauschen. Zwischendrin genehmigten sie sich immer wieder einige Schlucke aus den mitgebrachten Wasserflaschen oder trugen Erdreich in die kleine Kammer zurück, von wo andere Männer sie dann hinausschafften.
    Lucas wusste nicht, wie viel Zeit so verging, vielleicht eine, vielleicht zwei Stunden. Dann, endlich, vernahm er einen Laut. Er hielt inne und fiel Georg in den Arm, der gerade erneut die Schaufel in die Erde treiben wollte. Sie warteten, bis sie unruhig wurden und sich bewegten. Lucas wollte schon nach der Schaufel greifen, da erklang wieder ein Geräusch. Ein hoher Ruf war kurz zu vernehmen gewesen.
    »Hast du das gehört?«, fragte er.
    Georg Hofer schüttelte den Kopf. »Was war denn?«
    »Ich habe einen von ihnen gehört. Ein Befehl oder so.«
    Georg runzelte die Stirn, lauschte wieder, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich hör nichts. Aber dein Wort reicht mir.«
    »Und jetzt?«
    »Ist gut, wenn man Stimmen hört«, murmelte Hofer. »Das heißt, dass sie noch nicht fertig sind.«
    Lucas runzelte die Stirn. »Aber das heißt auch, dass nur wenige Fuß entfernt von uns eine Rotte Türken lauert, möglicherweise bis an die Zähne bewaffnet, und gerade Schwarzpulver schichtet, oder?«, raunte er.
    »Allerdings«, erwiderte Georg mit knirschenden Zähnen. »Aber immer noch besser, als wenn wir sie gar nicht mehr hören würden. Dann säßen wir auf einer Mine, die sie jeden Augenblick zünden könnten.«
    »Was wohl oben inzwischen geschieht?«, fragte der Student.
    »Sie werden noch nicht gestürmt haben«, meinte Hofer. »Sie müssen die Minen am Anfang des Sturmes zünden. Oder in einer Kampfpause, bevor ihre Janitscharen an den Mauern
sind. Sonst jagen sie ihre eigenen Männer in die Luft. Aber wenn mich mein Zeitgefühl nicht täuscht, kann es nicht mehr lange dauern.«
    Lucas ging es ähnlich - seine Nackenhaare stellten sich auf und ein nagendes Gefühl teilte ihm mit, dass sie sich beeilen sollten. »Also, wie machen wir weiter?«
    »Graben wir ein bisschen - aber nicht so viel, dass wir durchbrechen. Damit wir mitbekommen, was sie dort treiben. Dann müssen wir warten, bis sie weg sind. Vielleicht gelingt es uns, die Kammer auszuräumen.«
    »In Ordnung«, flüsterte Lucas. Er hob die Schaufel und schabte die Erde von der Wand ab, denn das Kratzen wirkte in seinen Ohren leiser als das rhythmische Graben. Ihr einziger Vorteil war, dass sie von den Osmanen wussten, die umgekehrt aber nicht von ihnen.
    Die beiden Männer arbeiteten sich noch ungefähr einen halben Fuß weiter vor, da fiel ihm der Zimmermann seinerseits in den Arm. »Hörst’?«
    Lucas lauschte erneut. Da waren Stimmen, ganz deutlich. Er verstand nicht, was sie sagten, doch sie klangen so nah, als würde sie

Weitere Kostenlose Bücher