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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Erde rieselte ihm in Genick und Haare. Einen Augenblick lang kam er sich wie eingemauert vor und musste die aufkeimende Panik niederkämpfen, die die Vorstellung von etlichen Schritten Erde und dem schweren Gebäude über ihm verursachten.
    Bei der nächsten Biegung - inzwischen konnte Lucas wieder geduckt gehen - spielten ihm seine Augen einen Streich. Vor sich sah er Lichtschein den Gang erhellen. Ungläubig rieb er sich die Brauen. Schließlich konnte das nicht sein - oder doch? Lucas hielt inne.
    »Was gibt’s?«, fragte Georg hinter ihm.
    »Licht«, flüsterte Lucas. »Vor uns.« Er blinzelte, um unterscheiden zu können, ob er sich das nur einbildete oder nicht. Das Licht blieb.
    »Ah, das werden Leute von uns sein«, sagte der Zimmermann.
    »Sind hier unten viele?«, fragte Lucas.
    »Ein paar schon. Hier graben noch sicher zehn Leute in den verschiedenen Ecken. Ganz zu schweigen von denen, die den Aushub wegbringen.«
    »Bist du sicher, dass die von uns sind?«, wollte Lucas wissen. »Was, wenn der Feind in unsere Gänge vorgedrungen ist?«
    Georg runzelte die Stirn. »Möglich, aber unwahrscheinlich.«

    »Dann sei still«, zischte Lucas und sperrte die Ohren auf. Das Licht kam näher. Die Stille half, sich auf die Geräusche von vorne konzentrieren zu können, doch der Student stellte einmal mehr fest, wie dumpf die Erde jeden Laut klingen ließ. Irgendwann schloss er die Augen, um sich ganz auf sein Gehör zu verlassen.
    Endlich vernahm er gedämpfte Schritte. Gemurmel. Lachen. Er hielt die Luft an und beruhigte seinen Herzschlag. »Mist, vermaledeiter«, drang zu ihm kaum hörbar vor. Erleichtert atmete er auf. »Sie gehören zu uns.«
    »Sicher?«
    »Fluchen die Türken in unserer Sprache?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Dann gehören sie zu uns.«
    Lucas und Georg warteten, bis die Männer deutlich zu hören waren, dann schwenkten sie die Lampe und riefen ihnen zu. Es handelte sich um zwei dreckige, verschwitzte Gestalten, die seit mehreren Wochen keine Zeit oder Gelegenheit zum Rasieren besessen zu haben schienen, denn ihre Bärte wucherten genauso wild wie ihre Haare. Sie waren in die dunkle Kleidung der Bergknappen gehüllt, deren Beinkleider aus Leder bestanden. Beide trugen rechts und links Erdsäcke quer über den Körper gespannt sowie einen dritten auf dem Rücken.
    Und schon sah Lucas das nächste Problem: Er konnte selbst nur geduckt stehen und schabte immer wieder rechts und links mit den Schultern an den Wänden entlang. Wie sollte man da aneinander vorbeikommen? Nun blieben auch die beiden Bergknappen stehen und fluchten. »Hättet’s was g’sagt. Dann wäret ma hinten in der Kammer geblieben, bis ihr kimmts«, meinte der eine.
    »Wir wussten nicht, ob ihr’s wart«, erwiderte Georg.

    Einer der Männer lachte mit tiefem Bass. »Da herunten isch uns noch kein Osman begegnet.«
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Lucas. Er fühlte sich nicht wohl dabei, dass der Weg vorne und hinten blockiert war.
    »Also, zurück«, sagte der Knappe. Und dann machten sich die beiden Männer auf den Weg, rückwärts und geduckt, weil sie nicht wenden konnten. Lucas und Georg folgten. Sie gelangten alle in eine größere Kammer, die ihnen zu viert gerade genug Platz bot, um sich aneinander vorbeizuschieben. Aus ihr heraus führten zwei weitere Gänge. Lucas musste sich merken, von wo sie gekommen waren. Er nahm seine Klinge und schnitzte eine tiefe Linie in das feuchte Erdreich.
    »Wo habt ihr gegraben?«, fragte er die beiden Bergknappen.
    »Da«, machte der eine und deutete in den einen Gang. »Gen Mauer am Auguschtinerkloschter.«
    »Und wohin geht der dort?«, fragte Lucas und deutete auf die andere Öffnung.
    »Zum Auguschtinerkloschter selber.«
    »Habt ihr den Feind da gehört?«
    Die beiden Bergknappen sahen sich an. »Dachten mer zumindescht«, sprach der eine. »Mia san seit geschtern Nacht am Graoben, da ham mia si hocken g’heart, mia ham so weit graoben, wia ma g’schafft hom.« Er wischte sich den Schweiß aus der Stirn.
    Der Student musterte den Mann im schwachen Schein der Laterne. Er war blass und schwankte unter der Last der Erdsäcke. Die Männer, die darauf aus waren, einen Pulvervorrat zu finden, mussten sich an den Rand der Erschöpfung vorgearbeitet haben.
    Lucas dachte nach. Niklas Graf Salms’ große Furcht war, dass die Osmanen ihre Pulverfässer direkt unter militärisch wichtige Ziele legten. Wenn ein möglicher Gang des Feindes
zum Augustinerkloster ging, dann konnte er

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