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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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für ein Schatz - davon konnte man sicher ein Haus auf dem Land mit Hof und Vieh erstehen, vielleicht gar einen kleinen Weingarten! Wenn er jetzt das Geld nahm und die Karten in Krems fertig malte, um sie nach dem Krieg wieder zurückzubringen, dann war das doch sicher kein Betrug, sondern bloß eine verständliche Vorsichtsmaßnahme, oder?
    Doch als der Kartenmaler nach dem Beutel greifen wollte, schlug ihm der Fremde seine Hand beiseite. »Ihr werdet diese Spielkarten fertig malen«, wiederholte der Mann mit enervierender Ruhe. Das Gesicht blieb dabei stets von der Kapuze verborgen, nur sein schlohweißer Bart ragte hervor. »Danach erhaltet Ihr das Geld.«
    Der dicke Mann schnaufte. Wie hatte der Kerl seine Gedanken erraten? Stand er etwa dem leibhaftigen Teufel gegenüber? Er griff nach dem Tuch, an dem er sich sonst die Finger abwischte, und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn. Mit
einem sehnlichen Blick auf den Beutel sagte er: »Also gut. Ich bleibe, und ich male Eure Karten fertig.«
    »Bis morgen?«, fragte der Mann mit der heiseren Stimme.
    »Nein, das werde ich nicht schaffen, Herr. Nicht mit der Sorgfalt, die Ihr wünscht. Drei Tage brauche ich bestimmt noch.«
    Der Mann unter dem Umhang machte noch einen Schritt, der ihn direkt neben den Kartenmaler brachte. Woffenberger nahm einen unangenehmen Geruch wahr - süßlich, stechend, Übelkeit erregend. »Ihr werdet diese Karten übermorgen Abend fertig haben, Meister Woffenberger. Dann will ich auch den Stadtplan zurück, den Ihr als Vorlage benutzt.« Die Hand mit dem Lederhandschuh suchte eine der bereits fertigen Karten aus dem Deck auf dem Pult heraus. Es handelte sich um den Narren, der am Fuß aufgehängt kopfüber von einem Baum hing. »Verstanden?«
    »Übermorgen, sicher doch!«, versicherte Woffenberger. »Es ist ja nicht so, als hätte ich momentan noch andere Kunden. Übermorgen Abend könnt Ihr sie holen.«
    »Gut«, sprach der Fremde heiser. Dann drehte er sich um und verließ mit dem Geldbeutel die Werkstatt.
    Woffenberger hielt sich mit der Linken an seinem Arbeitspult fest, denn ihm drohten die Knie zu versagen. Mit der Rechten tupfte er sich wieder den Schweiß von der Stirn. Als er auf den Lappen starrte, stellte er fest, dass die Farben verwischt waren - er musste sich das ganze Gesicht vollgeschmiert haben.
    Der Maler rührte die Farben an, legte die Pinsel bereit und holte die Vorlage heraus. Dabei handelte es sich um einen Plan der Stadt Wien, auf dem der Mauerring wie ein unförmiges Ei wirkte. Wo auch immer dieser Kerl den Plan herhatte, sein mysteriöser Auftraggeber hatte mehr als einmal betont, dass
niemand davon wissen durfte. Das Wichtige an dem Plan waren auch nicht die eher bildhaften Zeichnungen der Gebäude, sondern die Ziffern, die danebenstanden. Dabei handelte es sich um präzise Abmessungen der Distanzen zwischen den verschiedenen Stadttürmen und -gebäuden.
    »Übermorgen Abend«, murmelte er. Das bedeutete, er würde sich beeilen müssen. Vielleicht konnte er dann immer noch packen und irgendwie die Stadt verlassen, wenn er erst das Gold seines Auftraggebers besaß.

KAPITEL 5
    M adelin wollte unbedingt das Versprechen halten, das sie.i V Franziskus am Vortag gegeben hatte. Waren sie wirklich erst gestern in Wien angekommen? So viel war bisher schon passiert. Sie musste einen Physicus finden, der ihren Freund behandelte. Die Stadt lag in dichte Nebelschwaden gehüllt, die nur hier und da einen Sonnenstrahl hereinließen. Der Geruch nach Kaminfeuern hing in der Luft.
    Madelin schlich sich aus dem Wagen und vom Kirchhof, bevor die Freunde erwacht waren, und ging an diesem frühen Morgen des vierundzwanzigsten September auf den Platz zwischen Burg und Sankt Michael. Hier hielt sie erstaunt inne. Gestern war es schon voll gewesen, doch heute zogen Hunderte von Menschen durch die lagernden Soldaten. Alle schleppten so viel Gepäck mit sich, wie sie tragen konnten, oder hatten ihren Hausrat und sämtliche Wertsachen auf Karren geladen. Die meisten trugen die Kleidung von Bürgersleuten. Das Herz von Wien bereitete sich darauf vor, aus seinen Stadtmauern auszuziehen.
    Als Wind anhob und einen noch dichteren Geruch nach verbranntem Holz herübertrug, sah Madelin besorgt auf und ließ ihren Blick über die Mauern und den Himmel schweifen. Und tatsächlich - die dichten Schwaden, die sie für Nebel gehalten hatte, wurden durch die Brise aufgewirbelt und legten sich als Wolke über die Stadt. Asche rieselte herab. Die

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