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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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einen Schreck bekam. Er war sogleich in die Schranne gegangen und hatte um ein Gespräch mit dem Stadtrichter gebeten.
    Das breite Gebäude am Hohen Markt bot nicht nur verwahrten Raufbolden und Betrunkenen eine vorübergehende unfreiwillige Heimstatt, hier sammelten sich auch die Gerichtsknechte zu Besprechungen und bewaffneten sich. Lucas hatte in den Zellen schon so manche Nacht mit Heinrich verbringen müssen - zum Auskühlen, wie Pernfuß es nannte, wenn er nach einer Schlägerei alle Beteiligten eingesperrt hatte.
    »Ich … ich will in der Stadt bleiben. Helfen.«
    Pernfuß schnaubte abfällig. »Was passiert, wenn du versuchst, jemandem zu helfen, haben wir ja gesehen!« Er schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage.«
    Bei dem Gedanken an den toten Zimmermann wuchs Lucas’ Entschlossenheit nur noch. »Ich muss ja nicht als Arzt helfen«, sagte er. »Ich kann Kanonenkugeln schleppen und Sandsäcke schichten, wenn’s sein muss.«
    »Warum?«
    »Weil Wien mein Zuhause ist! Jemand muss doch bleiben und kämpfen!«
    Der Stadtrichter musterte ihn misstrauisch. »Nein. Mach, dass du aus der Stadt kommst.«
    Lucas wurde langsam ärgerlich. »Aber die Hofers dürfen doch auch bleiben. Warum ich nicht?«
    »Die Hofers sind wertvolle Mitglieder der Bürgerschaft, du
aber machst mir nur Ärger! Und Ärger habe ich in Wien momentan wirklich genug!«
    »Ah, die Hofers «, erkannte der Student. »Ihr habt Angst, dass ich nur deshalb bleibe, weil der Alte mich in die Schranne geschleift hat, oder? Ihr glaubt, ich will mich rächen?«
    »So ähnlich. Und du hast Ansässer auf dem Gewissen.«
    »Glaubt Ihr wirklich, dass das Absicht war?«, fragte Lucas ungläubig und wurde unwillkürlich lauter. »Haltet Ihr mich wirklich für so kleinlich? Ich habe den Zimmermann behandelt, weil ich der Einzige weit und breit war, der das hätte versuchen können!« Der Blick des Sterbenden suchte den Studenten noch immer heim, und so schloss er kurz die Augen. Dann fuhr er leiser fort: »Hätte ich auf meinem Arsch sitzen bleiben sollen wie alle anderen auch? Das konnte ich nicht. Und ich kann’s auch jetzt nicht.«
    Als Lucas wieder zu Pernfuß hinübersah, hatte sich in dessen Blick etwas verändert. Er schürzte die Lippen und legte nachdenklich einen Finger dagegen. »Du und deine Freunde prügelt euch regelmäßig mit den Handwerkern und Weinhauern. Du sitzt einmal im Monat in der Schranne ein. Und jetzt willst du ernsthaft hierbleiben und an der Seite dieser Männer kämpfen?«
    »Ja.«
    Der Stadtrichter nickte. »Dann sollst du bleiben, Steinkober. Unter zwei Bedingungen.«
    »Und die wären?«
    »Du machst keinen Ärger. Du tust genau das, was ich dir sage. Spurst du nicht, schnür ich dich zusammen und überlass dich den Osmanen.«
    »In Ordnung. Und die zweite?«
    In Pernfuß’ Augen glitzerte etwas. »Ich mache dich zum Gerichtsknecht. Du bist mir unterstellt.«

    Lucas starrte den Stadtrichter verblüfft an. »Zum … zum Gerichtsknecht?«
    »Ja. Du bist ein Schlitzohr, Steinkober. Ich will dir ständig auf die Finger schauen können.«
    Der Student atmete langsam ein und wieder aus. Die Mitglieder der Universität unterstanden auch deren eigener Gerichtsbarkeit, während die Gerichtsknechte wie alle anderen Einwohner und Bürger dem Rechtsbereich der Stadt angehörten. Wenn er sich jetzt Pernfuß unterstellte, unterwarf er sich auch dessen Urteilsspruch. Das bedeutete, dass der Stadtrichter ihn im Zweifel für den Tod von Ansässer anklagen konnte. Stimmte Lucas dieser Bedingung zu, war er Pernfuß’ Gnade ausgeliefert. Er schluckte. »Ich nehme an, Ihr wollt das schriftlich?«
    »Allerdings, das will ich.«
    »Wo würdet Ihr mich einsetzen?«
    »Du wirst erst einmal in den Vorstädten den Landsknechten helfen, Vorräte zu fouragieren und die Häuser abzubrennen. Sie könnten dort einen Ortskundigen gebrauchen. Das dürfte dir doch gefallen, oder? Wien anzünden?«
    »Warum sollte mir das gefallen?« Doch sein Entschluss war gefasst. »In Ordnung. Ich akzeptiere Eure Bedingungen.«
    »Hand drauf?« Pernfuß stand auf und streckte die Rechte aus. Lucas ergriff sie zögerlich. »Hand drauf.«
    Der Stadtrichter setzte sich wieder. »Das nenne ich den Wolf zum Schafhirten machen. Hätte mir vor zwei Monaten jemand gesagt, dass ich dich zum Ordnungshüter ernenne, ich hätte den Kerl aufs Schafott gebracht.«
    »Und ich hätte die Schlinge dazu geknüpft«, murmelte der Student. Der Tag war noch nicht alt und doch war er

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