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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Verzweiflung, andere stemmten sich stumm gegen die Männer, die sie voranschleiften. Doch die Wachen hatten die Gefangenen fest im Griff.

    »In den Sack mit ihnen!«, brüllte jemand, und die Gruppe lachte.
    »Die Gemeinen zuerst«, schrie ein anderer. »Der Herr mit dem Goldkaftan soll seinen großen Auftritt haben!«
    Die Leute johlten erneut und banden den drei Gefangenen die Arme und Beine zusammen. Dann zogen sie zweien von ihnen je einen Sack über und brachten sie zu Fall, um die Säcke an den Füßen zuzubinden. Dann schob man den dritten Mann mit dem Gesicht voran in einen weiteren Sack. An den Seilen schleifte man sie weiter, zum Fachturm. Oben unter dem Dach standen Leute in der großen offenen Ladeluke und ließen ein festes Tau an einer Seilwinde herunter. Auf der anderen Seite verfügte der Turm über einen langen Lastenkran.
    Die Wahrsagerin sah sich um. Die Gruppe der Männer war auf sicher dreißig angewachsen. Sie erkannte den Landsknecht namens Walther unter ihnen, doch Lucas sah sie nicht. Sie war froh darum, denn sie wusste, was als Nächstes kommen würde. Madelin hatte ähnliche Szenen schon des Öfteren gesehen - nur nicht mit Menschen. Dies war eine gängige Weise, ungewünschte Katzenjungen zu ertränken, bevor sie groß genug waren, ihren Häschern davonzulaufen. Die junge Frau schlang fröstelnd die Arme um den Körper.
    Sollte sie sich einmischen und versuchen, die Männer zu zügeln? Doch die Tatsache, dass sowohl Landsknechte wie auch Gerichtsknechte an dem Geschehen beteiligt waren, hieß wohl, dass dies mit dem Segen der Obrigkeit geschah. Fahrende hatten sich in städtische Angelegenheiten nicht einzumischen, da sie als unehrlich galten. Im besten Fall würde man ihr nicht zuhören, im schlimmsten sie aus der Stadt prügeln - Osmanen hin oder her.
    Einige Unbeteiligte standen herum und schauten dem Geschehen zu. »Wer ist das?«, fragte sie einen von ihnen.

    »Ein Gefangener«, erwiderte der Mann. Er trug eine ordentliche Schaube - einen ärmellosen Umhang mit großem Kragen, der bis zum Knie reichte. Vermutlich handelte es sich um einen Handwerker oder einen Krämer. Er hatte sich mit einem Schwert bewaffnet. Seine Züge waren weich, beinahe schwammig zu nennen, und er besaß Glubschaugen, mit denen er sie nun seinerseits interessiert betrachtete. »Du hast noch nichts von ihm gehört? Man nennt ihn nur den Herren mit dem Goldkaftan. Ein Husarenführer hat ihn vorgestern gefangen genommen. Man hat alles an Informationen aus ihm herausgeholt, was man nur bekommen konnte. Allerdings nicht ganz freiwillig, wie mir scheint.«
    »Scheint mir auch so«, murmelte Madelin. »Ist das hier so üblich?«
    Der Mann zog eine buschige Augenbraue hoch. »Dass man Osmanen foltert und hinrichtet? Nun, wir laden sie nicht freiwillig in unsere Häuser ein.«
    »Aber einen Menschen so zuzurichten …«, Madelin deutete hilflos auf den osmanischen Herren, der vor Schmerz und Schwäche stolperte und der Länge nach hinfiel. Er wimmerte, als Hände grob nach ihm griffen.
    »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, erwiderte der Glubschäugige gleichgültig. Das Leid der Männer schien ihn nicht zu berühren. »Sie schlachten unsere Kinder und Kranken, wir schlachten sie. So läuft das.« Er musterte sie jetzt mit eindringlichem, dreistem Blick von Kopf bis Fuß. Dunkles Begehren kroch in seinen Ausdruck. »Gehörst du zum Tross der Landsknechte?«
    Madelin schüttelte nur den Kopf. Sie konnte die Augen nicht von dem Geschehen nehmen. Drei Männer ergriffen den Herren jetzt und steckten ihn ebenfalls in einen Sack, den sie anschließend zubanden. Dann schnürten sie die vier Säcke zusammen
an ein Tau. Madelin legte sich eine Hand auf den Magen und ignorierte den bitteren Geschmack, der ihr auf die Zunge kroch.
    »Da kommt der Henkersmann«, sagte der Mann. »Aber den kennst du ja bestimmt.«
    »Warum sollte ich den kennen?«, fragte sie mit einem Seitenblick auf den Bürger.
    »Er steht dem Frauenhaus unten an der Wien vor, ich dachte …«
    Madelin fragte sich noch, was das mit ihr zu tun haben sollte, da lief ein junger Mann herbei. »Wartet!«, rief er mit sich überschlagender Stimme. Kam da jemand, um den Männern zu helfen? Der Junge schwenkte ein Stück Stoff. »Der feine Herr soll Wien doch nicht ohne sein kostbares Gewand wieder verlassen!« Er schwenkte den Stoff wie ein Banner, das in Fetzen gerissen und von braunem Blut verkrustet war. Ein Teil der Goldstickereien funkelte noch im Sonnenschein. Das

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