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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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darüber saß und alles mit anhörte?
    »Ich sag doch, die Herrin ist nicht da«, zischte die Magd und starrte Madelin aus grauen, kühlen Augen an. Offenbar hatte sie erkannt, dass die junge Frau sich so schnell nicht würde abwimmeln lassen. Also fügte sie hinzu: »Sie ist in einem wichtigen Gespräch.«
    »In einem Gespräch?«, fragte Madelin.
    »Graf zu Hardegg ist da.«
    »In so einem Gespräch.« Vermutlich war das im Haus der Mutter inzwischen der geläufige Ausdruck für die Besuche des Grafen. Ob er der Mutter bereits berichtet hatte, dass die ungeliebte Tochter in die Stadt zurückgekehrt war? »Ich muss sie trotzdem sprechen, bitte.«

    »Girte?«, erklang da keuchend eine männliche Stimme aus den hinteren Räumen. »Alles in Ordnung?«
    Die Magd warf Madelin einen etwas geduldigeren Blick zu. »Ich denke schon.« Madelin erkannte den Mann im dunkleren Innern des Hauses kaum, vermutlich war es ein Knecht des Grafen. Ein merkwürdiger Geruch drang ihr in die Nase.
    »Hör mal zu«, sagte Girte dann zu Madelin. »Ich habe eben kurz mit der Herrin gesprochen, ob ich dich vorlassen soll. Sie hat jetzt keine Zeit für dich. Aber wenn du magst, dann kannst du in den nächsten Tagen wiederkommen.« Sie musterte Madelin. »Es tut mir leid. Aber ich soll dir das hier geben.« Sie drückte der Fahrenden einen Gulden in die Hand, dann schloss sie die Tür. Dieses Mal besaß Madelin nicht mehr ausreichend Kraft, um sich erneut dagegenzustemmen.
    Noch eine Weile stand sie vor der verschlossenen Tür. Sie wischte die Tränen nicht fort, sondern schmeckte das Salz, das ihr über die Wangen und auf die Lippen lief. Dann wandte Madelin sich ab und kehrte zum Lager am Kienmarkt zurück. Ihre eigene Mutter hatte sie abspeisen lassen wie eine Bettlerin.
     
    So wie Lucas es verstanden hatte, lagerte die Hauptmacht der Osmanen jenseits des Stubentors. Die größere Gefahr stellten aber die Janitscharen im Süden dar, die Elitetruppe des Sultans. Diese Infanterietruppen konnten meisterhaft mit Säbel und Messer, besonders aber mit den Arkebusen umgehen. Diese tragbaren Schusswaffen hatten sich im letzten Jahrhundert als grässliche Fernkampfwaffen erwiesen. Glücklicherweise gab es in Eck von Reischachs Landsknechtsheer zweihundert Hispanier, die den Umgang damit ebenfalls perfektioniert hatten. Man sagte, dass Reischach einen Ausfall aus dem Kärntner Tor herausgeführt hätte, um zu verhindern, dass die Janitscharen sich bei Sankt Anton festsetzten.

    Lucas Steinkober scherten all diese Dinge an diesem Mittag wenig. Seine Gedanken kreisten um den vorgestrigen Abend und die Begegnung mit der Fahrenden oben in der Türmerstube von Sankt Stephan. Er hatte eine Verbundenheit mit der jungen Wahrsagerin gespürt, die er noch zu keinem Menschen gefühlt hatte. Seitdem war er trunken, ohne dem Wein zugesprochen zu haben. Seine vorwitzigen Füße wollten ihn immer hinüber zu Sankt Ruprecht führen, wenn er nicht darauf achtgab, was sie taten.
    Madelin war so ganz anders als alle Frauen, die er kannte. In Wien unterteilten sich die für Lucas auch nur halbwegs erreichbaren Frauen in drei gut voneinander unterscheidbare Kategorien. Bürgersfrauen mit Bildung und Tugend, Mägde, die nur Letzteres besaßen (oder sich um den tugendhaften Schein bemühten), und Huren, die weder über das eine noch das andere verfügten. Madelin hingegen schien gebildet zu sein, wirkte auf ihn tugendhaft und scherte sich trotzdem nicht um Anstand und Sitten. Es war, als wäre sie in einen wundervollen Zauber eingewoben.
    Doch so sehr der Student sich auch freute, dass sie einander nach den beiden kurzen Begegnungen nicht endgültig aus den Augen verloren hatten, sorgte er sich doch darüber, dass sie nun genauso wie er in einer Stadt ausharren musste, die vom Feind eingeschlossen war. Noch dazu war die junge Frau beinahe mittellos und konnte sich auch nichts dazuverdienen, da sie ihre Spielkarten verloren hatte. Lucas dachte an das Ereignis vor drei Tagen zurück, an dem er nicht unbeteiligt gewesen war, und hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hätten nachschauen müssen, ob noch jemand in dem Haus war, bevor sie es angezündet hatten. Dann hätten Madelin und ihre Schwester noch ein paar Habseligkeiten zusammenpacken können, und die Karten wären nicht verbrannt. Doch so konnte er die Angelegenheit
drehen und wenden, wie er wollte - er fühlte sich an ihrem Unglück mitschuldig. An den beiden vergangenen Tagen hatte er gesehen, wie das Essen in den

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