Die Schicksalsleserin
müssen.
Jetzt traten vier Janitscharen auf Anweisung eines Offiziers vor. Sie waren mit Säbeln bewaffnet und blickten den Gefangenen mit grimmigen Mienen entgegen.
Kalte Furcht ergriff Christophs Herz. Jetzt war es also so weit. Sie würden sterben. »Nur Mut, Männer«, zischte er den mährischen Reitern zu.
Die fünf Osmanen kamen heran. Der Offizier, ein kräftiger Mann mit blau-rot gestreifter Weste, funkelte Christoph mit dunklen Augen an. Dann streckte er die Hand aus und präsentierte ihm zwei Goldmünzen.
»Ahmed Beg hat gesagt, Ihr und Eure Streiter habt voll Mut und Tapferkeit gekämpft. Ihr habt Euren Herrn, Graf zu Hardegg, und Eure Gefährten gedeckt, damit sie fliehen können. Damit habt Ihr …«, er suchte nach Worten, »damit seid ihr die Tapfersten der Tapferen. Mein Fürst will Euch diesen Mut lohnen.«
Auch zwei andere Janitscharen überreichten jetzt nach und nach jedem der Gefangenen seine zwei Goldmünzen, während die anderen Wache hielten. Man traute ihnen offenbar einen Angriff zu. Christoph zögerte, dann verneigte er sich und ergriff das gebotene Geld. »Ich danke Euch«, murmelte er.
»Ein tapferer Mann ist ein guter Feind«, erwiderte der Janitschar ebenso leise. Er sprach mit mehr Akzent als der Feldherr.
Christoph war überrascht. Vielleicht gab es doch Ehre und
Anstand unter diesen Barbaren? Er sammelte all seinen Mut und wandte sich an den Feldherrn. »Herr Pascha, ich danke Eurem Herrn für die Freundlichkeit und die Heilkunst, die er meinen Männern und mir hat angedeihen lassen. Der Sultan - seine Majestät - hat gehandelt wie es jeder Mann von Ehre tun würde.« Der Feldherr übersetzte seine Worte dem Sultan. Der blieb stumm, nickte Christoph aber mit gefälligem Blick zu.
Ibrahim Pascha ergriff nun das Wort. »Die Verteidiger Wiens haben ihren Mut mehrfach bewiesen. Bereits am zweiten Tag haben sie einen weiteren Ausfall gewagt, um die tapferen Janitscharen des Sultans von den Gemäuern vor der Stadt zu vertreiben. Sie versuchen wie Bienen den Finger des Imkers zu stechen, der den Honig ernten will. Diese Tapferkeit hat den Sultan zu einem großzügigen Angebot veranlasst.«
»Ein Angebot?«, fragte Christoph. »Was für ein Angebot?«
»Seid Ihr bereit, dem Erzherzog Ferdinand eine Botschaft nach Wien zu überbringen, Freiherr von Gersdorff?«
Der Bannerträger musste sich zusammenreißen, um nicht zu widersprechen - dass nämlich der Erzherzog nicht in Wien sei, sondern in Linz weilte. Doch wenn die Feldherren der Osmanen das nicht wussten, dann würde er dieses Missverständnis nicht aufklären. »Natürlich werde ich den Befehlshabern von Wien die Worte des Sultans zutragen«, sagte er. »Was wünscht seine Majestät für ein Angebot zu machen?« Insgeheim frohlockte er. Möglicherweise gab es doch noch einen Weg, seine Leute hier lebend herauszuführen.
»Die friedliche Kapitulation Wiens.« Ibrahim Pascha zeigte ihm unter dem langen Schnurrbart die Zähne. Christoph verstand erst nach einigen Herzschlägen, dass das ein Lächeln sein sollte.
»Ich … Bitte sprecht.«
»Teilt Erzherzog Ferdinand von Habsburg mit, er soll seine
Stadt Wien kampflos aufgeben. Wenn die Tore geöffnet werden, dann wird Sultan Süleyman Kanuni, der Belgrad eroberte, Rhodos stürmte und das Königreich Ungarn unterwarf, mit seiner Streitmacht ohne Besetzung an Wien vorbeiziehen.«
Gab es wirklich noch einen Weg, wie Wien in einem Stück aus diesem Unheil herauskommen könnte? Christoph wagte kaum zu atmen. »Und wenn nicht?«
»Wenn Wien sich nicht ergibt, wird der Sultan die brutale Macht seiner treuen Gefolgsleute über der Stadt entfesseln. Er wird mit allen, die in der Stadt weilen, übel verfahren und keine Gnade walten lassen. Der Sultan gedenkt, an Eurem Michaelitag sein Frühstück in Wien zu halten. Ob als Gönner oder als Schlächter ist Sache Eurer Anführer.«
Christoph nickte. »Ich habe verstanden. Richtet dem Herrscher meinen Dank für diese Gnade aus.« Er verbeugte sich, dieses Mal leichter und tiefer - so tief, wie er sich vor Erzherzog Ferdinand verbeugt hätte. Dann wartete er. Die erlösenden Worte von Ibrahim Pascha kamen bald. »Ihr könnt gehen.«
Erleichtert wandte sich Christoph zu seinen Leuten um. »Auf. Lasst uns mit Würde und Ordnung gehen. Mit ein bisschen Glück sind wir …«
»Wartet!«
Zedlitz sah zurück. Ibrahim Pascha hatte sich zu Sultan Süleyman hinuntergebeugt und hörte aufmerksam zu. Der Bannerträger konnte sein Mienenspiel im
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