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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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»Sie haben dort drüben im Turm Feldschlangen mit einem kleinen Kaliber. Die treffen recht gut und haben gleichzeitig eine hohe
Reichweite. Vom Turm da oben haben die Osmanen einen guten Schusswinkel, wirklich - die verstehen ihr Handwerk.«
    »Bist du Kanonier?«, fragte Lucas.
    »Nein. Ist mir zu gefährlich.« Karl klopfte auf seine Arkebuse. »Das kurze Rohr hier speit schon genug Pulver. Ich habe keine Lust, dass mir ein Vierzigpfünder um die Ohren fliegt. Aber irgendwann kennt man sich mit den Rohren aus. Man muss ja wissen, vor welchen man sich in Acht nehmen muss.«
    Mehrere Schüsse donnerten gewaltig. Lucas warf sich auf den Boden und bedeckte seinen Kopf. Die Mauer bebte und Steinsplitter hagelten auf seinen Rücken herab. Trotzdem zwang er sich, schnell wieder aufzublicken. »Karl? Alles in Ordnung?«
    Der Knecht lag vor ihm und regte sich erst nach ein, zwei Herzschlägen. »Alles gut, alles gut.« Auch er sah hoch und grinste schon wieder, obwohl er einen blutigen Schnitt im Gesicht hatte. Ein Splitter musste ihn getroffen haben.
    »Das«, sagte Karl im Liegen, »kam von dem Friedhof da unten und der alten Mühle auf der anderen Seite der Straße.«
    »Der Sankt-Koloman-Friedhof und die Spittelmühle am Bürgerspital.« Lucas dachte mit Bedauern an die alte Mühle zurück, in deren Nähe er als Kind immer an den Ufern der Wien gespielt hatte. Das Bürgerspital hatte ihm nach dem Tod seiner Mutter eine Heimstatt geboten. Er hatte mit zwei Dutzend anderen Kindern regelmäßig in der Kapelle gebetet und schließlich die Firmung empfangen. Jetzt stellten die Diener Mohammeds dort vermutlich ihre Pferde unter. Der Gedanke machte ihn wütend.
    »Von da schießen sie auf die Mauern. Kleine Geschütze, die gegen den Mauerverband nichts ausrichten können. Die sind vielmehr gegen uns Schützen gerichtet«, fuhr Karl fort und erhob sich vorsichtig wieder. Lucas tat es ihm gleich. »Sie haben
auch dort einen neuen Wall aufgeschüttet. Die wissen mit Erde umzugehen, diese Türken.« Er beschattete sein Gesicht und blickte nachdenklich gen Süden. »Ich weiß nur nicht, was sie da hinten noch graben …«
    »Und was haben wir ihren Waffen entgegenzusetzen?«, fragte Lucas. Er sah hinaus auf das riesige Heer und der Mut schwand ihm. »Viel kann’s ja wohl nicht sein.«
    Der Landsknecht lachte, seine gute Laune schien selbst unter Beschuss unverwüstlich. »Sag das nicht! Ungefähr einhundert taugliche Geschütze immerhin. Wenn Wien in einem Monat noch steht, hat es das zu einem Gutteil seiner guten Bewaffnung zu verdanken - und uns Kriegsknechten natürlich.«
    »Versteht sich.«
    »Aber die Wiener haben keine große Ahnung von einer guten Verteidigung. Der verdammte Stadtrichter muss vor ein paar Tagen befohlen haben, Schießscharten in die Mauer hauen zu lassen, stell dir das vor! Graf Salm soll Blut und Galle gespieen haben, als er das gesehen hat. Er hat befohlen, dass sie wieder dicht gemacht werden.«
    »Da bin ich aber beruhigt«, entgegnete Lucas. Wenn Pernfuß das befohlen hatte, dann kannte er sich keinen Deut mit der Verteidigung einer Stadt aus. »Ich komme übrigens vom Stadtrichter. Er sagt, wichtige Umbauten müssten mit ihm abgestimmt werden, bevor sie durchgeführt werden. Weißt du da was?«
    »Das soll er Salm selbst sagen, ich tu’s nicht«, sagte der Knecht. »Er wird garantiert die Dächer da abdecken lassen.« Er deutete mit der Hand am Verlauf der Mauer gen Stubentor. Lucas sah, dass man dort bereits viele Häuser abgerissen hatte, um Platz für die Verteidiger zu schaffen. Hier hatten einst einige der schönsten Häuser der Stadt gestanden. »Warum die Dächer?«, fragte er.

    »Damit wir die Geschütze oben auf die Dachböden der Häuser stellen können. Gibt keine bessere Schussbahn über die Mauer für die Feldschlangen als von dort oben.« Der Landsknecht beschrieb mit der Rechten eine gebeugte Flugbahn in Richtung des Feindeslagers und pfiff dabei durch die Zähne. »Und rums!«
    »Rums«, wiederholte Lucas, doch sein Blick glitt besorgt über die Stadt. Wenn das so weiterging, dann bliebe selbst bei einem Sieg nicht mehr viel von Wien übrig.
    Karl sah auf den Wall beim Bürgerspital hinunter. »Ansonsten ist es da draußen erschreckend ruhig.«
    »Meinst du, sie haben noch etwas in der Hinterhand?«
    Der Landsknecht verzog den Mund zu einem sarkastischen Grinsen. »Das da draußen ist Ibrahim Pascha«, erwiderte er, als erkläre das alles. Auf Lucas’ fragenden Blick hin fuhr er

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