Die Schicksalsleserin
noch, ohne ihn geckenhaft aussehen zu lassen. In dieser Eigenschaft ähnelte er Graf zu Hardegg, fand Christoph - auch der Reiterhauptmann wusste sich zu zieren, ohne dass es eitel wirkte.
Statur und Züge des Sultans überraschten den Bannerträger durch ihre Feinheit. Der Sultan überragte selbst in einer entspannten Sitzhaltung sämtliche Männer in seiner Umgebung und war dabei doch schlanker als sie alle. Auch das Gesicht
wirkte fein und schmal, die Nase gewölbt. Er trug einen langen Schnurrbart über dem bloßen Kinn, der eine mittelbraune Haarfarbe nahelegte. Am auffälligsten aber waren seine großen Augen, die von dunklen Wimpern gerahmt wurden und die Christoph ebenso aufmerksam musterten wie umgekehrt. Mit spitzen Fingern steckte er sich eine dunkle Traube in den Mund und kaute genüsslich. Ein feines Lächeln kräuselte seine Mundwinkel.
Der Bannerträger wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er wurde vorgeführt wie Vieh dem Schlachter, und wenn die Dinge, die er von den Osmanen gehört hatte, auch nur im Ansatz wahr waren, dann würden die feinen Herrschaften nun ihre Kriegsbeute zeremoniell hinrichten lassen.
Christoph schob das Kinn vor. Er mochte den Reitern des Sultans unterlegen sein, doch das bedeutete nicht, dass er sich auch benehmen musste wie Schlachtvieh. Seine Herkunft und seine Stellung geboten Respekt und Anstand - immerhin repräsentierte er Erzherzog Ferdinand und damit die StadtWien. Der Sultan sollte ihn nicht für einen furchtsamen Schwächling halten. Also sah Zedlitz auf und begegnete dem Blick des Herrschers.
Doch der Blickkontakt ließ den Bannerträger erschauern. Dunkle Augen unter feinen Brauen schienen jede seiner Regungen und Bewegungen aufzunehmen und zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, das Christoph so darstellte, wie er in seinem Innersten aussah, und nicht, wie er sich der Welt präsentierte. Unter diesem Blick kam er sich nackt und schutzlos vor. Konnte der Sultan seine Seele durchforschen, bloß indem er ihn ansah? Christoph wollte nicht, dass ihn jemand so kannte, ganz besonders nicht, wenn es sich dabei um den Beherrscher des Balkans handelte. Es gab nur einen Weg, dieser Durchforschung ein Ende zu setzen, und Christoph wählte
ihn, ohne lange zu überlegen: Er senkte den Blick. Dabei spürte er seine Wangen vor Scham erglühen.
Der Anführer der Soldaten, der sie bisher bewacht hatte, kniete nieder, berührte mit dem Kopf den Boden und verharrte so. Nun stand ein Mann aus dem Hofstaat auf. Er verneigte sich gen Sultan und hielt eine Rede, bei der er immer wieder auf die Gefangenen wies. Christoph konnte sich den Inhalt dieser Rede vorstellen, obwohl er kein Wort verstand. Die gefangenen Reiter dienten als sichtbarer Beweis für das erste Scharmützel mit den Truppen Wiens. Der Sieg wurde umso erhabener, da auch ein Offizier - Christoph selbst - sowie das Banner des Grafen zu Hardegg erobert worden waren. Dem Lachen der Männer nach zu urteilen spottete man über die Flucht der Reiter hinter die schützenden Mauern der Stadt und damit zogen sie auch über ihre Männlichkeit her. Der Mann - Christoph erkannte, dass es derjenige war, der ihm das Banner abgenommen hatte - schloss seine Rede, verneigte sich und setzte sich wieder. Stille fiel über die Gruppe, und alle sahen zu dem prachtvollen Herrscher unter dem Zeltvordach hinüber. Nach einer langen Pause lehnte der sich zu einem Mann an seiner Seite. Dieser trat aus dem Schatten und sprach Christoph an.
»Mein Herr, Sultan Süleyman, der Herrscher der Welt, heißt dich in seinem Reich willkommen, Kafir . Der Alaybeg sagt, du bist der Bannerträger Graf zu Hardeggs. Wie ist dein Name?«
Christoph fand kaum einen Fehler an der Sprache des Mannes - nur ein schwacher weicher Akzent ließ anmerken, dass es nicht seine Muttersprache war. Im Gegensatz zu seinem zarten Herrn wirkte er kraftvoll und kantig. Ebenfalls mit einer schmuckvollen Kopfwicklung versehen, war er jedoch in schlichtere Gewänder gehüllt, die ihn in dieser Gesellschaft beinahe bescheiden wirken ließen. Die Augen des Mannes waren kühl, berechnend und misstrauisch.
»Freiherr Christoph Zedlitz von Gersdorff«, sagte der Bannerträger förmlich und verbeugte sich. »Und wer seid Ihr?« Einige der Männer - offenbar jene, die seine Sprache verstanden - lachten.
»Man nennt mich Ibrahim Pascha, Feldherr der Hohen Pforte«, erwiderte der Mann. Christoph hatte beinahe den Eindruck, er sei ein wenig pikiert, sich noch vorstellen zu
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