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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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- nur um festzustellen, dass Carlos sie beobachtete. Der spanische Arkebusier, der zur Wache beim Turm im Elend hinter dem Salzburger Hof an der nördlichsten Stelle Wiens eingeteilt war, saß ihr gegenüber am Ecktisch im Gelben Adler und musterte sie eindringlich. Ob er schon die ganze Zeit so dagesessen hatte?
    »Du sprichst auch gut«, erwiderte Carlos und ließ seinen Blick an ihrem Körper hinabgleiten. Madelin wurde heiß, während er nicht nur die Details ihrer Kleidung aufzunehmen schien, sondern auch den Leib würdigte, der darin eingehüllt war. »Für eine bruja von der Straße.«
    Madelin legte den Kopf schief. »Was bedeutet das?«
    Er neigte sich vor, sah ihr tief in die Augen und schnurrte mehr, als dass er sprach: »Hexe.«
    Madelin erschrak. Seit heute früh auf dem Stephansdom hatte sie ein gutes Geschäft gemacht - insgesamt hatte sie sechs Männern die Karten gelegt und so gut es ging versucht, sie zu deuten. Die Menschen im belagerten Wien hatten Angst. Doch wenn das Gerücht die Runde machte, sie wäre eine Hexe, dann würde sie schneller in der Donau landen, als sie das Glaubensbekenntnis zitieren konnte.
    »Ich bin keine Hexe«, erwiderte sie also nachdrücklich. »Sag so etwas nicht.«
    »Was bist’ dann?«, fragte Carlos mit gerunzelter Stirn. Sein Blick ruhte jetzt kühl auf ihr. »Eine Lügnerin?«
    »Nein«, widersprach Madelin. »Ich … ich versuche nur zu helfen.«

    »Bei was - Leute um Geld erleichtern?«
    Sie starrte ihn ärgerlich an. »Ihnen neue Wege aufzuzeigen.«
    »Verstehe«, erwiderte Carlos. Er griff sich von den beiden Pfennigen, die auf dem Tisch lagen, einen und steckte ihn wieder ein. Madelin wollte protestieren, doch er hob die Hand. »Was - willst’ mich vor den Stadtrichter bringen?« Er grinste, dann ließ er einen verbogenen Schinderling auf die Holzplatte kullern. Das einfache Geldstück war kaum etwas wert, enthielt es doch deutlich weniger Silber als normale Pfennige. Dann stand er auf und ging, ohne sich zu verabschieden, in die Sonne des frühen Nachmittags hinaus.
    Madelin ließ Carlos gehen. Sie musste vorsichtig sein. Wenn Menschen Angst hatten, suchten sie sich jemanden, an dem sie sich abreagieren konnten, und das waren meist Fremde. Das war in der letzten Woche der Türke mit dem Goldkaftan gewesen, in der nächsten konnten es schon die Fahrenden sein. Auch wenn sie nicht sicher war, ob der Arkebusier ärgerlicher gewesen wäre, wenn sie sich selbst als Hexe bezeichnet hätte. Dabei hatte sie nicht einmal gelogen - sie wollte nicht vortäuschen, etwas zu wissen, was anderen Leuten Hoffnung machte.
    Ohne die alte Sicherheit, dass sie das Schicksal richtig las, hatte sie sich zunächst verloren gefühlt. Mit der Zeit hatte sie erkannt, dass Ehrlichkeit den Leuten oft genügte. Sie wollte ihnen ja nichts vormachen, sie wollte ihnen beistehen.
    Dadurch hatte Madelin inzwischen ausreichend Geld verdient, um für die kleine Truppe Brot, Wurst und Käse für zwei oder drei Tage zu erstehen und möglicherweise noch eine weitere wärmende Decke für Franziskus zu kaufen, dem das kalte Wetter jetzt schon zu schaffen machte. Vielleicht war sogar noch etwas übrig, dass sie am Neuen Markt für jeden einen köstlichen Wiener Krapfen aus einer der wenigen noch betriebenen Bäckereien erstehen konnte. Wenn sie nicht bald aus
Wien wegkämen, dann würden sie für den Winter eine feste, warme Unterkunft brauchen. Gott allein wusste, wie sie das bezahlen sollten. Für Madelin war nur eines in Stein gemeißelt: Sie würde nicht wieder zum Haus der Mutter gehen, um dort um Hilfe zu bitten. Eine zweite Abfuhr wie die erste würde sie nicht ertragen.
    Ein paar Landsknechte saßen am Nebentisch und johlten. »Komm rüber, schöne Maid!«, rief einer. »Ich zeige dir, wie ein Mann aus dem Alten Haufen reiten kann!«
    »Ich dachte, der Alte Haufen wäre zu Fuß unterwegs?«, konterte Madelin. »Ihr seid fürs Kämpfen berühmt, nicht fürs Reiten!« Die Gefährten des Mannes schlugen sich auf die Schenkel. Immerhin ließen die Leute sie nun in Ruhe an ihrem Tisch sitzen.
    Die Wahrsagerin musste an Lucas denken, den sie in den letzten Tagen wenig zu Gesicht bekommen hatte. Sie mischte den Stoß Karten neu, um sein Schicksal zu lesen, und zog unzeremoniell die erste Karte.
    In der Hand hielt sie die Hohepriesterin, die Madelin bei sich auch oft die Wahrsagerin nannte. Sie saß im schlichten Papstgewand mit Buch und Kreuz in der Hand da. Eine Frau, die mit Lucas in Verbindung

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