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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Ohrfeige, die den Buben rückwärts nach hinten schleuderte. »Schau meinen Sohn noch einmal an und du bist tot!«, fauchte sie.
    Dann traf sie ein Schlag in die Seite. Anna rang um Luft und versuchte, sich aufzurichten, doch ihre Beine gaben unter ihr nach. Sie fiel auf die Knie. Fritzl schrie und versuchte, sie nun ihrerseits zu schützen. Ein Fuß traf sie in die Rippen. Elisabeth weinte - war auch sie getroffen worden? Helles Licht tanzte vor Annas Augen und ihr wurde schlecht.
    »Nicht«, bat Anna halb besinnungslos. Die kleine Elisabeth weinte noch immer. Dann war die raue Stimme mit dem schweren Akzent ganz nah an ihrem Ohr. »Du stirbst, Weib. Dein Balg kommt ins Feuer, ist zu klein. Und dein Sohn«, er lachte. »Dein Sohn wird ein Mann. Oder er wird sterben!«

    »Nein«, flehte Anna. Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln. »Bitte. Nicht die Kinder!« Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie sollte sie sie davon abhalten, die Kinder zu verletzen? Der Narbengesichtige warf Anna herum und hob schon die Faust, um sie ihr ins Gesicht zu rammen. Sie warf die Hände vor das Gesicht und schrie: »Graf Hardegg!«
    Der Mann hielt inne. »Was ist mit Hardegg?«
    »Ich bin die Tochter!«, stieß sie aus und versuchte, Elisabeths Schreie zu übertönen. »Graf zu Hardeggs Tochter. Ich bin ein Bastard. Aber er ist mein Vater! Bitte!« Sie krampfte die Hände um ihre Tochter. »Ihr dürft mir und meinen Kindern nichts tun! Graf zu Hardegg wird Euch ein Lösegeld bezahlen!«
    Das Narbengesicht glaubte ihr nicht, das sah sie ihm an. Doch er wechselte ein paar Sätze mit den anderen Soldaten. Dann stieß er Anna auf den Boden. Sie schlang die Arme um das Kind vor ihrer Brust und versuchte, es zu beruhigen. »Wie heißt du?«
    »Anna. Anna Ebenrieder. Tochter von Elisabeth von Schaunburg. Meine Kinder heißen Friedrich und Elisabeth.«
    Der Mann nickte. »Steh auf, Weib. Wenn du lügst …«, sagte er und deutete scharf auf das weinende Kind, »dann kommt dein Balg ins Feuer.«
    Anna schluckte und nickte. »Fritzl, komm her.« Der Junge gehorchte trotz seines verletzten Armes sofort. »Hilf mir auf.« Mit Hilfe des Fünfjährigen zog sie sich hoch. Sie konnte kaum aufrecht stehen. Elisabeth schrie jetzt aus voller Kraft. »Sch, meine Kleine«, bat sie, doch das Mädchen reagierte nicht.
    Anna gab Fritzl die Hand. Sie ließ noch einen Blick über die Männer schweifen, die sie feindselig anstarrten. Sie hatte sich ihnen widersetzt. Anna betete, dass ihr Vater sie auslösen würde. Denn wenn sich herausstellen sollte, dass sie den Wienern
nichts wert wäre, dann würden die Osmanen an ihr Rache nehmen. Einer der Männer stieß sie grob vor sich her.
    »Komm, Fritzl«, sagte sie und humpelte zurück zur Kirche. »Alles wird gut.« Doch der Junge antwortete nicht. Er zitterte am ganzen Leibe, sein Arm blutete. Seine Augen betrachteten sie, als sei sie eine Fremde. An der Tür blieb die Wache zurück und verschloss sie hinter Anna und ihrem Buben sorgfältig.
    Drinnen ließ die Mutter den Blick über die anderen Menschen gleiten, die hier schliefen, lebende Beute ihrer neuen Herren. Sie suchte nach Verbandsmaterial, um ihren Sohn zu verbinden. Von jetzt an würde sie nachts nicht mehr schlafen können, das wusste sie.

KAPITEL 12
    M adelin hielt die Augen geschlossen und ließ sich den Wind um die Nase wehen. Wenn sie alles um sich herum ablegte und die Sorgen ziehen ließ, dann konnte sie sich beinahe vorstellen, weit fort zu sein. Für ein paar Augenblicke gelang es ihr tatsächlich. Dann donnerten mehrere Kanonen im Süden. Die Wahrsagerin schrak zusammen. »Verdammt!«
    Sie sah von der Türmerstube des Stephansturmes hinunter auf die Stadt Wien. Der Dunst der Kanonen kam von den Bollwerken am Kärntner Tor und bei Sankt Anton auf der Wieden, wie üblich. Dort schienen die beiden Hauptstellungen der osmanischen Geschütze zu stehen. In den letzten Tagen hatte es einen Angriff auf das Schottentor gegeben - doch er war vom Alten Haufen Leonhards von Vels niedergeschlagen worden. Seit fünf Tagen sprachen die Kanonen, doch niemand schien daraus einen Vorteil zu ziehen. Alles sah ganz danach aus, als kämen die Wiener nicht hinaus und die Osmanen nicht herein.
    Sie zählte die Tage an den Fingern ab. Vorgestern war der Frost gekommen - in der Nacht auf den ersten Oktober. Heute war der zweite. Das bedeutete, dass sie seit neun Tagen in Wien weilten und seit sieben die Belagerung andauerte.
    Madelin wandte sich vom steinernen Fenster

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