Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
die Seite eines Viereckes und in ihrer Gesamtheit formten sie eine Art kleiner Festung, und zwar einer uneinnehmbaren Festung, denn die Verteidiger derselben waren – die einzigen auf der Insel – im Besitze von Feuerwaffen Sie empfingen die Angreifer mit einer wohlgezielten Salve, so daß sogleich sieben Tote und Verwundete den Kampfplatz bedeckten. Die Räuber warteten keine Wiederholung ab und liefen in regelloser Flucht davon.
Dieser Vorfall dämpfte plötzlich die Kampfeslust der Angreifer. Sie marschierten nach Liberia zurück, wo sie mit einbrechender Nacht eintrafen. Der Schall von ausgestoßenen Flüchen und Schmähreden kündete ihr Kommen an. Man eilte ihnen entgegen und trachtete den Sinn der empörten Rufe zu verstehen.
Die Entfernung war zuerst zu groß und man glaubte, Siegeslieder und Triumphgeschrei zu hören; aber bald kamen die Stimmen näher, die Worte wurden deutlicher, verständlich; man tauschte bestürzte Blicke »Verrat!… Verrat!« hörte man rufen.
Verrat!… Diejenigen, welche in Liberia zurückgeblieben waren, wurden von Furcht ergriffen und Beauval zitterte mehr als alle anderen. Er ahnte ein Unglück, das – er fühlte es – man ihm zur Last legen würde; er lief der ihm drohenden Gefahr, über deren Natur er sich keine Rechenschaft ablegte, aus dem Wege, um sich im »Regierungspalast« in Sicherheit zu bringen.
Kaum hatte er sich eingeriegelt, als der lärmende Trupp vor seiner Türe halt machte. Was wollten die Leute von ihm? Was bedeuteten die Verwundeten und Toten, welche man vor seiner Wohnung niederlegte? Welches blutige Drama hatte sich abgespielt, dem sie zum Opfer gefallen waren? Warum war die Menge so erregt?
Während Beauval vergebens dieses Geheimnis zu ergründen suchte, spielte sich ein anderes Drama am linken Flußufer ab, das die Bewohner Neudorfs sehr betrüben, dem Kawdjer aber ins Herz greifen mußte.
Er kannte die Aufregungen und Sorgen der Bewohner Liberias wie seine eigenen; während er im Lager herumwanderte, mußte er ja erfahren, was vorging. Aber er wußte nichts von der Organisation der Räuberbande, die vor seiner Ankunft vom linken Ufer abgezogen und erst nach seinem Weggange heimgekehrt war. Die Verringerung der Anzahl der anwesenden Emigranten war ihm aufgefallen; er war erstaunt darüber, ahnte aber die wahre Ursache nicht.
Aber eine dumpfe Unruhe hatte sich seiner bemächtigt und er war an diesem Abend in Gesellschaft seiner gewöhnlichen Begleiter, Harry Rhodes, Hartlepool, Halg und Karroly, bis an den Fluß gegangen. Das linke Ufer lag um einige Meter höher als das rechte; bei Tage konnte man von hier aus Liberia übersehen, zu dieser späten Stunde aber verschwand das Lager in der Finsternis.
Nur ferner Lärm, das undeutliche Murmeln von Stimmen und ein schwacher Lichtschein deuteten das Vorhandensein des Lagers an.
Die fünf Spaziergänger saßen am Ufer nieder, der Hund Zol lag zu ihren Füßen; sie blickten schweigend in die herrliche Nacht hinein, als vom anderen Ufer eine Stimme herüberrief:
»Kawdjer!« – Ein Mann rief den Namen, schweratmend, keuchend, als ob er lange Zeit gelaufen wäre.
»Hier!« antwortete der Kawdjer.
Ein Schatten kam über die Brücke und näherte sich der Gruppe. Es war Sirdey, der ehemalige Koch des »Jonathan«.
»Man braucht Sie dort unten, sagte er, sich an den Kawdjer wendend.
– Was gibt es denn? fragte der Kawdjer, sich erhebend.
Am Boden lag ein Körper – Sirk… (S. 252.)
– Tote und Verwundete.
– Tote?… Verwundete?… Was ist denn geschehen?
– Eine Bande wollte Rivière ausplündern… Er war aber mit Gewehren versehen… Und so ist’s eben gekommen!
– Diese Unglücklichen!
– Wir haben drei Tote und vier Verwundete; die Toten brauchen nichts mehr, aber vielleicht kann den Verwundeten…
Die Fackelträger hatten sich genähert… (S. 256.)
– Ich komme schon,« sagte der Kawdjer und setzte sich gleich in Bewegung, während Halg zurücklief, um das chirurgische Besteck und Verbandzeug zu holen.
Unterwegs wollte der Kawdjer manches von Sirdey erfahren, aber dieser konnte ihm keine Aufklärung geben. Er wußte nichts Genaues. Er hatte an dem Raubzug nicht teilgenommen und wußte nur vom Hörensagen davon zu berichten. Übrigens hatte ihn niemand hergeschickt. Als er die sieben bewegungslosen Körper gesehen hatte, war er schnell hergelaufen, um den Kawdjer zu benachrichtigen.
»Sie haben recht getan,« sagte dieser.
Mit Karroly, Hartlepool und
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