Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Alle anderen gehörten zu Beauvals oder Doricks Partei und ihr Verschwinden vom Schauplatz konnte für die in Angriff zu nehmende Arbeit und Ordnung auf der Insel nur von günstigem Einfluß sein.
Den größten Schaden hatten eigentlich die Meuterer selbst erlitten, welche gleich zügellos beim Angriff wie bei der Verteidigung vorgegangen waren. Was die unschädlichen Zuschauer betraf, die bloße Neugierde herbeigelockt hatte und die nach dem Anzünden des »Palastes« mit solcher Wildheit angegriffen worden waren, so hatten sie außer dem einen ermordeten Kolonisten nur über Wunden – und nicht allzu schwere – zu klagen: Kontusionen, Knochenbrüche, Stichwunden, die kein Leben gefährdeten.
Aber für den Kawdjer war Arbeit genug vorhanden! Doch das schreckte ihn nicht. Er hatte nicht blind, mit geschlossenen Augen das Amt auf sich genommen, über das Leben von tausend menschlichen Wesen zu wachen und für deren Existenz Sorge zu tragen. Die Aufgabe war schwer durchführbar und verantwortungsvoll, aber sein Mut war ihr gewachsen.
Nachdem die Verwundeten untersucht und verbunden worden waren, wenn sich die Notwendigkeit dazu ergab, wurden sie nach ihren Wohnungen gebracht.
Jetzt endlich war der Platz vollständig leer. Wieder ließ der Kawdjer fünf Mann zur Bewachung zurück, dann begab er sich in Begleitung der zehn anderen nach Neudorf, wohin ihn eine andere Pflicht rief: Dort lag Halg, vielleicht sterbend, vielleicht schon tot…
Halg war in demselben Zustand, in dem ihn der Kawdjer verlassen hatte; es fehlte ihm nicht an der sorgsamsten Pflege. Graziella und deren Mutter waren herbeigeeilt und lösten Karroly am Lager des Verwundeten ab und auf die Aufmerksamkeit und Hingabe dieser Krankenpflegerinnen durfte man bauen! Das junge Mädchen hatte in der harten Schule, welche es durchgemacht, gelernt, Schmerzen still in sich zu verschließen und ohne Klagen zu tragen; sie trat dem Kawdjer ruhig und gefaßt entgegen und antwortete verständig auf seine Fragen. Halg fieberte nur wenig – teilte sie ihm mit – aber er war noch nicht zu klarem Bewußtsein erwacht und unterbrach den durch den großen Schwächezustand bedingten Schlaf nur durch gelegentliches schmerzliches Stöhnen. Immer noch quoll rötlicher Schaum von seinen bleichen Lippen, aber er floß weniger reichlich und weniger blutig als früher. Das ließ sich als ein günstiges Zeichen deuten.
Während dieser Zeit hatten die zehn Männer, welche mit dem Kawdjer gekommen waren, aus den Reservevorräten Neudorfs Lebensmittel geholt und eilten, ohne sich auch nur kurze Rast zu gönnen, nach Liberia zurück. Dort gingen sie von Tür zu Tür und brachten einem jeden seine Ration. Als die Verteilung beendet war, bestimmte der Kawdjer die Wachtordnung für die Nacht, dann hüllte er sich in seine Decke, streckte sich auf dem Boden aus und suchte auch den ihm so notwendigen Schlaf.
Aber er konnte ihn nicht finden. Ungeachtet der körperlichen Müdigkeit arbeitete das Gehirn weiter und dachte… und grübelte…
Wenige Schritte von ihm standen die beiden Wachen gleich unbeweglichen Statuen. Kein Laut unterbrach die Stille. Mit weit geöffneten Augen starrte der Kawdjer in die Schatten der Nacht und träumte…
Was hatte er getan?… Warum hatte er gestattet, daß seine Überzeugung von den Tatsachen überstimmt worden war!… Wie er jetzt darunter litt!… Wenn er auch früher in Irrtümern gelebt hatte, er war dabei glücklich gewesen!… Glücklich!… Und was hinderte ihn daran, es noch zu sein? Er mußte nur wollen. Und wie konnte er das erreichen? Nichts war einfacher. Er brauchte sich nur zu erheben, zu fliehen und in dem Taumel eines ungezügelten Wanderlebens, das ihn ja früher so befriedigt und beglückt hatte, Vergessenheit zu suchen für diese grausame Enttäuschung…
Ach, es war zu spät dazu! Nichts konnte ihm jemals wieder seine zerstörten Illusionen aufbauen. Und was wäre dann sein Leben, wenn er bis ans Ende seiner Tage den brennenden Vorwurf mit sich herumschleppen müßte, einer falschen Gottheit so viele Menschenleben geopfert zu haben!… Nein! Nun hatte er die Sorge für diese Menschen auf seine Schultern genommen, jetzt hatte er sich vor sich selbst für sein Tun und Lassen zu verantworten. Erst bis er sie von Stufe zu Stufe bis zum sicheren Hafen geführt haben würde, erst dann konnte er die übernommene Aufgabe als erledigt betrachten.
Welchen Weg mußte er nun wählen?… War es nicht überhaupt zu spät zu allem
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