Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
wie ein Orkan brauste es durch die Lüfte. Man drückte sich die Hände, man beglückwünschte sich, Mutter umarmten ihre Kinder – es herrschte ein frenetischer Enthusiasmus!
In der tiefsten Entmutigung zeigte sich den armen Leuten wieder ein Hoffnungsstrahl. Jetzt, da der Kawdjer ihre Angelegenheit in die Hand nahm, waren sie gerettet! Er erlöste sie von allem Elend. Wie?… Durch welche Mittel?… Niemand machte sich darüber Sorgen; darum handelte es sich jetzt nicht. Nachdem er sich ihrer annahm, brauchte man nichts weiter zu überlegen.
Aber einige gab es dennoch, die düster vor sich hinblickten. Es waren Anhänger Beauvals und Lewis Doricks, welche sich in der Menge verloren; in die Hochrufe hatten sie nicht eingestimmt, aber sie wagten keinen Widerspruch; ihre entgegengesetzte Meinung äußerten sie nur in beredtem Schweigen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Ihre unbedeutende Minorität mußte mit der bestehenden Majorität rechnen, seitdem diese einen Führer hatte. Jetzt besaß dieser riesige Körper auch einen Kopf, dessen Scharfsinn die zahlreichen, bisher mißachteten Arme mit einem Male gefährlich machte. Der Kawdjer erhob die Hand und sogleich – wie durch einen Zauberschlag – herrschte vollkommenes Schweigen.
»Hostelianer! sagte er, das Notwendige und Menschenmögliche wird geschehen, um eure Lage zu verbessern. Aber ich fordere Gehorsam von allen und ich rechne mit Bestimmtheit darauf, daß niemand mich zwingen wird, Gewalt anzuwenden. Jetzt geht in eure Behausungen zurück und wartet auf weitere Instruktionen, die euch baldigst zukommen werden.«
Der Erfolg dieser energischen Ansprache von lakonischer Kürze war der denkbar beste. Die Leute verstanden, daß sie jetzt geleitet wurden und daß sie sich zukünftig nur leiten zu lassen brauchten. Nichts konnte diesen Unglücklichen erwünschter sein, welche von ihrer Freiheit einen so schlechten Gebrauch und so beklagenswerte Erfahrungen gemacht hatten, die sie gern für die Sicherheit eines Stückchen Brotes eintauschten. Die Freiheit ist ein unschätzbares Gut, aber man kann sie nur genießen, wenn man zu leben versteht. Und leben wollte jetzt dieses verzagte Volk; leben – dahin zielten für den Augenblick alle ihre Wünsche.
Man gehorchte ohne Zögern, nicht der leiseste Widerspruch wurde laut. Der Platz leerte sich und alle, bis auf Lewis Dorick, gehorchten dem erhaltenen Befehle und zogen sich in ihre Häuser oder Zelte zurück.
Der Kawdjer sah der sich allmählich verlaufenden Menge nach und um seine Lippen legte sich ein bitterer Zug. Wenn ihm noch Illusionen geblieben waren – jetzt mußten sie zusammenbrechen. Der Mensch haßte den Zwang durchaus nicht so sehr, wie er immer gemeint hatte. Eine derartige Schlaffheit – besser Feigheit – harmonierte mit dem Wesen der unumschränkten Freiheit allerdings nicht!
Sie gingen von Tür zu Tür und brachten jedem seine Ration. (S. 275.)
Ungefähr hundert Kolonisten hatten das Beispiel der anderen nicht befolgt. Der Kawdjer sah diese unfügsame Gruppe und seine Stirne legte sich in Falten. Da trat einer aus der Mitte seiner Gefährten und nahm im Namen aller das Wort. Der Grund, warum sie sich nicht auch in ihre Wohnungen zurückzogen, war der, daß sie kein Heim besaßen.
Sie waren durch die Bande der Plünderer von ihrem Herd, aus ihren zerstörten Blockhäusern verjagt worden und erst vor kurzem an der Küste angekommen; einige vor wenigen Tagen, andere erst am Vorabend und sie nannten kein anderes Dach ihr eigen als den Himmel über ihrem Haupte.
Der Kawdjer gab ihnen die Versicherung, daß ihre Zukunft so bald als möglich entschieden werden würde und riet ihnen, vorläufig die Reservezelte aufzurichten und zu benützen. Dann beeilte er sich aber, nach den Opfern der Meuterei zu sehen.
Deren gab es viele; sie lagen teils auf dem Platze selbst, teils in der nächsten Umgebung des Lagers. Man holte die letzteren herbei und bald waren alle nach Liberia geschafft. Nach geschehener Untersuchung ergab es sich, daß der Kampf nicht weniger als zwölf Kolonisten das Leben gekostet hatte, die drei Teilnehmer am Raubzuge mit eingerechnet, welche bei dem geplanten Sturm auf das Blockhaus Germain Rivières den Tod gefunden hatten. Eigentlich war kein Grund vorhanden, die Toten sehr zu beklagen. Ein einziger unter ihnen gehörte dem »guten« Teil der Bevölkerung der Insel Hoste an; es war einer der im Laufe des Winters aus dem Inneren der Insel angekommenen Emigranten.
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