Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Sand!… Der Kawdjer hatte sie ganz vergessen in dieser Umwandlung, die mit seinem Leben vorgefallen war. Warum hätte er sich mit den beiden auch mehr beschäftigen sollen als mit den anderen Kindern der Kolonie? Sie hatten ja auch ihre Familie – in der Person des braven Hartlepool. Aber der kleine Sand hatte seine Zeit nicht verloren! Erst drei Monate waren verflossen, seit er die Geige des verstorbenen Fritz Groß geerbt hatte und er mußte staunenswerte musikalische Anlagen haben, um ohne Lehrer, ohne Ratschläge in so kurzer Zeit solche Fortschritte gemacht zu haben. Natürlich war er noch kein Virtuose, auch war keine Veranlassung vorhanden, zur Annahme, daß er jemals sich dazu ausbilden werde, die Anfangsgründe der Technik mußten ihm immer fehlen – aber er spielte mit großer Sicherheit und fand – ohne daß er darnach zu suchen schien – einfache und doch sinnreiche und reizende Melodien, die er durch Modulationen von unglaublicher Kühnheit aneinanderreihte.
Die Geige verstummte und Dick, welcher seine Körbchen aufgestellt hatte, nahm das Wort:
»Ehrenwerte Hostelianer! – begann er mit komischer Emphase, indem er seine zarte Gestalt hoch aufrichtete. Mein Gefährte, welcher mit der Leitung der künstlerischen und musikalischen Seite unseres gemeinsamen Unternehmens, der Firma »Dick und Komp.« betraut ist, der berühmte Maestro Sand, Kammervirtuose Seiner Majestät des Königs von Kap Hoorn und anderer Orte, legt den hohen Herrschaften seinen besten Dank zu Füßen für die ehrende Aufmerksamkeit, die man ihm hat zuteil werden lassen«…
Dick seufzte nach dieser Anstrengung tief, schöpfte neu Atem und fuhr mit frischem Eifer fort:
»Das Konzert, ehrenwerte Hostelianer, ist für jedermann gratis; nicht so verhält es sich mit unseren anderen Waren, welche, wie ich zu behaupten wage, womöglich noch wunderbarer und vor allem dauerhafter sind. Die Firma »Dick und Komp.« bringt heute Blumensträuße und Körbe zum Verkauf. Die letzteren sind von größtem Nutzen, wenn man auf den Markt einkaufen geht – bis es auf der Insel Hoste einen Markt geben wird! Ein Strauß kostet einen Cent 1 … Ein Korb – einen Cent… Kauft! Ehrenwerte Hostelianer! Bitte, laßt das Geld springen!«…
Mit diesen Worten ging Dick im Kreise herum und bot seine Waren an, während die Geige, um den Enthusiasmus und die Kauflust zu erregen, wieder ihre schönsten Weisen begann.
Die Zuschauer lachten und aus ihren Bemerkungen schloß der Kawdjer, daß sie nicht zum ersten Mal einer Szene dieser Art beiwohnten. Wahrscheinlich hatten es sich Dick und Sand zur Gewohnheit gemacht, die Arbeitsplätze zur Zeit der Ruhepause aufzusuchen und dort ihre eigenartigen Handelsgeschäfte abzuschließen. Er wunderte sich nur, sie noch niemals gesehen zu haben.
Währenddessen hatte Dick im Handumdrehen für seine Blumen und Körbe Käufer gefunden.
»Es bleibt nur ein einziger Korb übrig, meine Damen und Herren, verkündete er; der schönste von allen! Zwei Cents, meine Herrschaften, für den schönsten und letzten Korb!«
Eine Hausfrau gab ihm die verlangten zwei Cents.
»Vielen Dank, meine Herren und Damen! Acht Cents!… Ein Vermögen!…« schrie Dick und verfiel in einen Tanzschritt.
Aber der Tanz fand ein ebenso rasches als unerwartetes Ende. Der Kawdjer hatte den tanzenden Dick beim Ohr erwischt.
»Was soll denn das heißen?« fragte er strenge.
Durch einen verstohlenen Blick suchte sich der Knabe über die wahre Gesinnung des Kawdjer klar zu werden; die Prüfung schien ihn zu befriedigen, denn er antwortete sehr würdevoll mit größtem Ernste:
»Wir arbeiten, Gouverneur!
– So, das nennst du arbeiten?« rief der Kawdjer, indem er seinen Gefangenen freiließ.
Dieser drehte sich ganz herum und sah dem Kawdjer fest in die Augen:
»Wir haben uns etabliert, sagte er mit unglaublichem Aplomb und warf sich in die Brust; Sand spielt die Geige und ich bin Blumenhändler und Korbflechter… Manchesmal tun wir Botengänge… oder verkaufen Muscheln… Ich kann auch tanzen… und weiß einige Kunststücke… Das ist ja auch ein Beruf, Gouverneur.«
Ob er wollte oder nicht, der Kawdjer mußte lachen.
»So, sagte er, aber wozu braucht ihr denn Geld?
– Das bekommt Ihr Schatzmeister, Herr John Rame, Gouverneur!
– Was?… rief der Kawdjer, John Rame nimmt euch euer Geld ab?
– Er nimmt es uns nicht, Gouverneur, erwiderte Dick, aber wir müssen es ihm geben, sonst haben wir nichts zu essen.«
Der Kawdjer war einen
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